Stromausfälle sind der Albtraum jedes Stahlherstellers. Damit Elektronen und Stahl unterbrechungsfrei fließen, setzt die Acciaierie Bertoli Safau auf digitalisierte Transformatoren.
Am liebsten wäre es Daniele Giro, wenn seine Transformatoren mit ihm sprechen könnten. Wenn sie selbstständig melden würden, wann sie kaputtgehen oder eine Wartung benötigen. Jeder Ausfall kostet ihn Nerven und seinen Arbeitgeber ein Vermögen. Denn ohne Strom steht die Produktion der Acciaierie Bertoli Safau (ABS) still. Der Verlust wäre gigantisch: Pro Stunde verschmelzen die beiden Lichtbogenöfen in dem Stahlwerk unweit der norditalienischen Stadt Udine rund 200 Tonnen Schrott zu wertvollen Spezialstählen für die Automobilindustrie, die Eisenbahn oder Gaspipelines.
Bemessen am durchschnittlichen Tonnenpreis kommen so schnell Zehntausende Euro pro Stunde zusammen, die dem Unternehmen flöten gehen. „Wenn man bedenkt, dass es zum Teil mehrere Tage braucht, bis ein defekter Trafo wieder flott ist, lässt sich ermessen, wie groß der Verlust ist“, sagt Giro, der als Leiter der Hoch- und Mittelspannungsverteilung dafür verantwortlich ist, das Werksnetz mit neun großen Öltransformatoren und rund 30 Megavolt-Elektroräumen stabil und störungsfrei zu halten. Keine leichte Aufgabe.
Allein ABS konsumiert etwa so viel Strom wie die ganze Stadt Udine mit ihren rund 100.000 Einwohnern. Das liegt vor allem an den zwei Lichtbogenöfen, dem Herzstück des Stahlwerks. Sie funktionieren wie ein überdimensionales Schweißgerät. Im Innern des Schmelzkessels befinden sich Elektroden aus Grafit, durch die mehrere Tausend Ampere fließen. Dadurch entstehen zwischen den Elektroden Lichtbögen, die die Temperatur auf mehr als 2.000 Grad Celsius jagen. So können mit einer Befüllung hundert Tonnen Stahlschrott innerhalb einer halben Stunde geschmolzen werden. „Wir recyceln im Prinzip das Material und geben dem Schrott damit wieder neues Leben“, sagt Giro.
DIE ACCIAIERIE BERTOLI SAFAU S.P.A.
Das Unternehmen entstand 1988 aus der Fusion zweier Stahlwerke, der 1813 gegründeten „Officine Bertoli“ und der 1934 errichteten Aktiengesellschaft „SAFAU“. Heute beschäftigt der zum Danieli-Konzern gehörende Betrieb rund 1.000 Mitarbeiter an den Produktionsstandorten in Cargnacco bei Udine und im kroatischen Sisak. Hinzu kommt noch ein eigenes Forschungszentrum in Metz, Frankreich.
Die dafür notwendige Energie erreicht das Werk über eine Hochspannungsleitung. Zwei Transformatoren regeln die 230 Kilovolt zunächst auf 21 Kilovolt runter, die über über das werkseigene Stromnetz zu den Produktionsanlagen kommen. Für die Lichtbogenöfen sind allein vier Leistungstransformatoren im Einsatz. Sie leisten den härtesten Job. Mit rund 200.000 Schaltvorgängen pro Jahr schalten die Laststufenschalter in ihnen so häufig, wie so mancher ihrer Kollegen in einem gewöhnlichen Umspannwerk sein ganzes Leben nicht. Drei weitere Trafos sind für die Versorgung der restlichen Anlagen wie zum Beispiel die Walzwerke zuständig.
DAS PRINZIP HOFFNUNG REICHT NICHT
Giro und seine zwei Mitarbeiter haben also alle Hände voll zu tun, um die Technik in dieser rauen Umgebung am Laufen zu halten. „Am besten wäre es, wir könnten ein System schaffen, in dem es nie zu Störungen kommt. Das wird zwar eine Utopie bleiben, aber wir tun unser Möglichstes, um uns diesem Ideal anzunähern.“ Seit Giro vor sechs Jahren bei ABS angefangen hat, sucht er daher stets nach neuen Lösungen, um seine Trafoflotte besser überwachen zu können. Bislang hatte er nur zwei Zeitintervalle pro Jahr, in denen er die Transformatoren einem gründlichen Check unterziehen und Wartungsarbeiten durchführen konnte: während der dreiwöchigen Betriebsruhe im August und zwei Wochen in der Weihnachtszeit.
„Ich wünschte mir ein System, mit dem ich das ganze Jahr über jederzeit den Zustand meiner Trafos überprüfen kann.“ Daniele Giro, Leiter der Hoch- und Mittelspannungsverteilung, ABS
Doch was passiert zwischen diesen beiden Terminen? Giro blieb nicht viel mehr, als zu hoffen, dass die Wartungsarbeiten ausreichen und schon alles gut laufen wird. Aber das genügte ihm nicht. „Ich wünschte mir ein System, mit dem ich das ganze Jahr über jederzeit den Zustand meiner Trafos überprüfen kann.“ So kam ihm vor zwei Jahren der Besuch von Stefano Vignali, Area Sales Manager bei Reinhausen Italia, sehr gelegen. Die beiden Unternehmen verbindet eine langjährige Beziehung — in allen Transformatoren bei ABS sind Laststufenschalter der Maschinenfabrik Reinhausen verbaut und durch die regelmäßigen Wartungen der Servicetechniker herrscht ein reger Austausch. Vignali ist damals gekommen, um die Automatisierungslösung ETOS® (siehe Kasten) vorzustellen.

Das offene Betriebssystem ermöglicht die Überwachung, Steuerung und Regelung von Leistungstransformatoren. „Das System ist modular aufgebaut, die Anwender können also selbst entscheiden, welche Komponenten des Trafos sie überwachen wollen. So sind auch noch nachträgliche Installationen möglich“, erklärt der Experte von Reinhausen. Dazu zählt beispielsweise das Monitoring der Durchführungen und des Transformatorenöls oder die intelligente Steuerung der Kühlanlagen. Für Vignali ist klar, dass das mehr Sicherheit schafft: „Ob Stahl- oder Zementwerk, für alle Fabriken, die einen Leistungstransformator haben, ist das Monitoring extrem wichtig. Ich kenne Betriebe, die haben nur einen Trafo — wenn der ausfällt, steht die ganze Produktion still.“
SCHUFTEN IN DER HITZE
Bei Giro rannte er mit seinem Vorschlag offene Türen ein. Die Philosophie von ABS: immer in neue Technologien investieren. Als Mitglied der Danieli-Gruppe, eines weltweit führenden Anlagenbauers für die metallurgische Industrie, hat ABS die Möglichkeit, Technik zu erproben, die noch gar nicht auf dem Markt ist. „Es ist wichtig zu experimentieren“, ist Giros Meinung. Also schreckte er nicht davor zurück, auch bei seinen wichtigsten Betriebsmitteln ein Experiment zu wagen. Trotzdem ging er zunächst auf Nummer sicher. Um Erfahrungen zu sammeln, entschied sich Giro, ETOS® nur bei zwei Transformatoren einzusetzen: bei einem, der bereits seit mehreren Jahren seinen Dienst tut und bei einem ganz neuen, den ABS bei einem italienischen Trafohersteller in Auftrag gegeben hat.
„Die Informationen, die das System sammelt, sind von enormer Bedeutung für uns. Zum ersten Mal sind wir in der Lage, den Zustand in Echtzeit zu verfolgen, und wir lernen auch mehr über den Trafo.“ Daniele Giro, Leiter der Hoch- und Mittelspannungsverteilung, ABS
Dafür sollten alle verfügbaren Module des Überwachungs- und Steuerungssystems genutzt werden — wenn schon, denn schon. Das Retrofit am Bestandstransformator wurde während der Betriebsruhe im August 2020 durchgeführt. Bei schwüler Hitze mit Temperaturen von 39 Grad Celsius führten die Reinhausen-Techniker die Arbeiten durch, brachten den vorkonfigurierten ETOS®-Schaltschrank am Trafo an, verkabelten die Sensoren und überprüften zum Schluss alle Funktionen. Die Arbeiten begannen an einem Montag, am Freitag waren sie abgeschlossen.
MEHR INFORMATIONEN, MEHR KONTROLLE
Inzwischen ist Giro seinem Wunsch von einem sprechenden Trafo einen deutlichen Schritt nähergekommen. Im Kontrollraum kann er auf seinem Bildschirm im Einzelnen nachverfolgen, wie es dem Trafo geht. Im Prinzip könnte Giro sogar von jedem Computer innerhalb des Werks auf die Zustandsdaten zugreifen. Möglich macht das der integrierte Webserver in der zentralen Recheneinheit im ETOS®-Schaltschrank. So kann Giro von überallher die Temperatur in den Wicklungen ablesen, mehr über die Qualität des Öls erfahren und natürlich auch den Laststufenschalter kontrollieren.

Mit ETOS® lassen sich die Trafos aber nicht nur überwachen, sondern auch intelligent steuern — den Laststufenschalter oder die Ventilatoren für die Kühlung beispielsweise. Das ermöglicht einen effizienteren Betrieb und damit auch Energieeinsparungen.
„Die Informationen, die das System sammelt, sind von enormer Bedeutung für uns. Zum ersten Mal sind wir in der Lage, den Zustand in Echtzeit zu verfolgen, und wir lernen auch mehr über den Trafo. Denn nun wissen wir, wie er im Betrieb auf bestimmte Ereignisse reagiert. Wir stehen da noch am Anfang, aber ich erwarte, dass wir mit der deutlich größeren Datenmenge nun eine viel verlässlichere Entscheidungsgrundlage haben und besser planen können. Den ersten Schritt haben wir getan.“ Mit den nächsten Schritten will er sich nicht allzu viel Zeit lassen, in den nächsten drei Jahren soll auch die Automatisierung der anderen Transformatoren rasch voranschreiten.
REINHAUSEN INSIDE
ETOS® — das Embedded Transformer Operating System — ist eine offene und modulare Systemlösung zur Überwachung, Steuerung und Regelung von Leistungstransformatoren. Für die verschiedenen Anforderungen an das Monitoring stehen sechs Funktionspakete zur Wahl:
- Transformatoren-Monitoring: Statusmeldungen über Temperaturen, Schutzeinrichtungen, Strom- und Spannungswerte, Berechnung der Alterungsrate und den Lebensdauerverbrauch
- Laststufenschalter-Monitoring: Überwachung der Motorantriebssignale, Öltemperatur und Schaltstatistiken
- Online-DGA-Monitoring: Auswertung der Gaskonzentration und der Feuchte im Isolieröl
- Steuerung und Überwachung der Kühlanlage: Überwachung von Kühlerstart und Kühleffizienz sowie intelligente Steuerung in Abhängigkeit von Lastbedingungen und thermischen Verhältnissen
- Durchführungsmonitoring: kontinuierliche Überwachung der Durchführungen über das Doppelreferenzverfahren
- automatische Spannungsregelung: von der einfachen Spannungsregelung über diverse Parallellaufmethoden von Transformatoren bis hin zu komplexen Regelungsaufgaben
ETOS® kann problemlos in jede Umgebung integriert oder nachgerüstet werden und bildet im Bereich der Feldebene die Schnittstelle zwischen Prozess- und Leitebene.
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S.Vignali@reinhausen.com