Weltweit muss Strom immer weitere Strecken zurücklegen. See- und Erdkabel werden deshalb stetig länger. Konventionelle Prüfanlagen kommen bei der Sicherheitsprüfung solcher Längen an ihre Grenzen. Die XXL-Drosseln von HIGHVOLT schaffen Abhilfe.
Die Dimensionen sind beeindruckend: Zwölf Stahlkolosse, die über eine Kombination von feinen Gestängen und filigranen Stelzen miteinander verbunden sind, strecken selbstbewusst ihre Fühler aus. Diese futuristisch anmutende Formation nimmt eine Fläche von 400 Quadratmetern ein – Kenner identifizieren sie sofort als Prüfanlage für Kabel.
Die Stahlkolosse sind Drosseln, das Gestänge und die Stelzen Spannungsteiler und die Fühler sind die Durchführungen. Es ist die wahrscheinlich leistungsfähigste Hochspannungsprüfanlage der Welt. Mit 700 Megavoltampere kann sie bei einer Spannung von 318 Kilovolt ein Kabelsystem von 55 Kilometer Länge am Stück auf Fehlerstellen in der Isolierung und den Verbindungsmuffen prüfen. Bisher konnten solche Längen nur in Teilabschnitten geprüft werden.
Zu besichtigen ist dieses Meisterwerk der Technik auf dem Werksgelände eines Seekabelherstellers am Isthmus von Korinth in Griechenland. Hier, nur wenige Schritte vom Kai entfernt, werden die auf riesigen Drehgestellen – sogenannten Turntables – aufgerollten Seekabel geprüft, bevor sie auf Spezialschiffe verladen zu den Projekten von Kunden aus aller Welt gelangen. Gebaut hat die Anlage HIGHVOLT, ein Mitglied der Reinhausen Gruppe. Das Unternehmen aus Dresden ist Spezialist für Prüfsysteme für die Hoch- und Höchstspannungsebene. Extreme gehören daher zum täglichen Geschäft.
Doch diese Anlage forderte die Ingenieure besonders heraus. Günther Siebert, Leiter des Teams Transformatoren, erklärt: „Je länger ein Kabel oder ein Kabelsystem ist, desto höher muss die Leistung des Prüfsystems sein. Bei einer Länge von 55 Kilometern müsste man eigentlich schon ein halbes mittleres Kraftwerk neben die Anlage stellen, um die notwendige Prüfleistung zur Verfügung stellen zu können. Daher mussten wir eine andere Lösung finden.“
Kabel für die Energiewende
Der griechische Kabelproduzent ist mit dieser Herausforderung nicht allein. Weltweit und insbesondere in Europa muss der Strom immer weitere Strecken zurücklegen und immer häufiger werden dafür Wechsel- oder Gleichspannungskabel im Meer versenkt oder unter der Erde vergraben. Der Grund: Die Elektrifizierung der Welt schreitet in großen Schritten voran. Bis 2060, so rechnet das „World Energy Council“ in einer Studie vor, könnte sich die Stromnachfrage gegenüber heute verdoppeln. Erneuerbare Energien spielen im Bestreben, diesen Energiehunger zu stillen und dabei das Klima zu schonen, eine immer wichtigere Rolle.
Die Europäische Union zum Beispiel möchte den Anteil klimafreundlicher Energie bis 2030 auf mindestens 32 Prozent erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein gewaltiger Netzausbau notwendig. Denn die Energiequellen liegen meist fernab der Ballungszentren, wie die Offshore-Windparks der Ostsee, die Wasserkraftwerke in Norwegen oder die geplanten Solarparks in der Sahara zeigen. Zahlreiche Stromtrassen, die Meere überbrücken und Netze verbinden, sind daher aktuell im Bau oder in Planung.
Die Verkabelung der Welt
Die Geschichte des Seekabels beginnt mit einem Fiasko: Nur ein einziges Telegramm konnte das erste unter dem Meer verlegte Kabel übertragen.
Am 29. August 1850, einen Tag, nachdem die Verbindung zwischen Frankreich und Großbritannien stand, kappte das Netz eines Fischereiboots die Leitung. Schnell folgten weitereVersuche und so schritt die Verkabelung der Weltmeere, in erster Linie für die Kommunikation, erfolgreich voran.
Etwa 100 Jahre später, im Jahr 1954, wurde das erste Kabel zur Hochspannungs- Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) zwischen der Insel Gotland und dem schwedischen Festland im Meer versenkt: 90 Kilometer lang mit einer Übertragungsspannung von 100 Kilovolt und einer Kapazität von 20 Megawatt.
Seitdem steigt die Übertragungsspannung bei Seekabeln kontinuierlich an. Heute sind 525 Kilovolt Gleichstrom und 500 Kilovolt Wechselstrom möglich. Insgesamt 8.000 Kilometer sind mittlerweile weltweit unter Wasser verlegt, 70 Prozent davon in Europa.
Erst die in den vergangenen Jahren immens fortgeschrittene Kabeltechnologie macht solche Projekte überhaupt möglich. Inzwischen sind Übertragungsspannungen von 500 Kilovolt Wechselspannung und 525 Kilovolt Gleichspannung möglich. Durch neue Materialien und Produktionstechniken können Hersteller Fertigungslängen von bis zu 15 Kilometern produzieren.
Dadurch sind weniger Muffen notwendig, um die einzelnen Kabelabschnitte zu verbinden. Ein deutlicher Vorteil, denn jede Muffe ist eine potenzielle Schwachstelle: Etwa 50 Prozent der Ausfälle sind auf eine fehlerhafte Montage oder einen Defekt in diesen Komponenten zurückzuführen. Ein Durchschlag kann katastrophale Folgen haben, wenn dadurch plötzlich das ganze Netz zusammenbricht.
Genau das möchte der Hersteller in Griechenland vermeiden. Bevor die Kabel auf die Reise gehen, muss er sie daher auf mögliche Fehlstellen prüfen. Da die bisherige Anlage dies nicht mehr leisten konnte, sollte HIGHVOLT nachrüsten. Das Funktionsprinzip blieb gleich: „Sowohl für Gleich- als auch für Wechselstromkabel hat sich als geeignete Methode die Wechselspannungsprüfung nach dem Resonanzprinzip in Kombination mit einer Teilentladungsmessung etabliert“, erklärt Siebert.
Die Lösung: XXL-Drosseln
Doch damit dieses Prinzip auch bei längeren Kabeln funktioniert, hat sich HIGHVOLT eine Lösung einfallen lassen. Wer sich das Prüfsystem in Griechenland ansieht, erkennt sie sofort: Mit 4,5 Meter Breite, 3,5 Meter Höhe, 4 Meter Länge und einem Gewicht von 50 Tonnen sind die Drosseln etwa doppelt so groß wie die kleineren Geschwister. „In dieser Größe sind unsere XXL-Drosseln noch gerade so auf dem Landweg transportabel und schnell einsatzbereit“, sagt Siebert.
Bei einem Resonanzprüfkreis sind die Drosseln das Gegenstück zum kapazitativen Prüfobjekt, in diesem Fall also dem Kabel. Vereinfacht gilt die Gleichung: Je länger das Kabel, desto größer ist die Kapazität und umso höher muss auch die Leistung der Drossel sein. Zur Steigerung der Leistung können zwar mehrere Drosseln durch Reihen- und Parallelschaltung kombiniert werden, mit den bisher verwendeten Drosseln wäre das jedoch nicht mehr sinnvoll gewesen. „Die neuen XXL-Drosseln sind viermal so leistungsfähig, aber nur doppelt so groß wie bisher“, so Siebert.
Während eine der alten Drosseln eine Leistung von 30 Megavoltampere liefert, schafft die neue 115. Heißt: Der Kabelhersteller in Griechenland hätte zusätzlich insgesamt 16 kleine Drosseln einsetzen müssen, jetzt reichen ihm vier große. Das ist auch eine Platzfrage. Die 16 Drosseln hätten eine Stellfläche von 620 Quadratmetern benötigt, den vier großen hingegen reichen 120 Quadratmeter.
„Die neuen XXL-Drosseln sind viermal so leistungsfähig, aber nur doppelt so groß wie bisher.“Günther Siebert, Leiter des Teams Transformatoren bei HIGHVOLT
Die hohe Prüfleistung der XXL-Drosseln konnte aber noch durch einen weiteren Kniff gesteigert werden: Sie sind für einen Frequenzbereich von zehn bis 300 Hertz dimensioniert. Bisher startete dieses Intervall bei 20 Hertz. „Je niedriger die Prüffrequenz, desto geringer ist die Menge an Prüfstrom, der in das Kabel fließen muss.
Bei gleicher Prüfspannung können also längere Kabelstrecken geprüft werden“, erklärt Siebert. Doch die Potenziale der XXL-Drosseln sind damit noch lange nicht ausgeschöpft. Durch den modularen Aufbau der Anlagen können sie nachträglich ausgebaut werden. „In einem Prüfsystem können wir bis zu 16 Drosseln miteinander kombinieren. Damit lassen sich dann theoretisch auch 200 Kilometer lange Kabel prüfen“, so Siebert. Noch ist kein Schiff groß genug, diese Kabel an einem Stück zu transportieren. Aber eines ist sicher: Angesichts der wachsenden Nachfrage nach Elektrizität gehen die Kabelprojekte so schnell nicht aus.
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