Kabel­check XXL

Welt­weit muss Strom immer weitere Stre­cken zurück­legen. See- und Erdkabel werden deshalb stetig länger. Konven­tio­nelle Prüf­an­lagen kommen bei der Sicher­heits­prü­fung solcher Längen an ihre Grenzen. Die XXL-Dros­seln von HIGHVOLT schaffen Abhilfe.


Die Dimen­sionen sind beein­dru­ckend: Zwölf Stahl­ko­losse, die über eine Kombi­na­tion von feinen Gestängen und fili­granen Stelzen mitein­ander verbunden sind, stre­cken selbst­be­wusst ihre Fühler aus. Diese futu­ris­tisch anmu­tende Forma­tion nimmt eine Fläche von 400 Quadrat­me­tern ein – Kenner iden­ti­fi­zieren sie sofort als Prüf­an­lage für Kabel.

Die Stahl­ko­losse sind Dros­seln, das Gestänge und die Stelzen Span­nungs­teiler und die Fühler sind die Durch­füh­rungen. Es ist die wahr­schein­lich leis­tungs­fä­higste Hoch­span­nungs­prüf­an­lage der Welt. Mit 700 Mega­volt­am­pere kann sie bei einer Span­nung von 318 Kilo­volt ein Kabel­system von 55 Kilo­meter Länge am Stück auf Fehler­stellen in der Isolie­rung und den Verbin­dungs­muffen prüfen. Bisher konnten solche Längen nur in Teil­ab­schnitten geprüft werden.

Mit 4,5 Meter Breite, 3,5 Meter Höhe, 4 Meter Länge und einem Gewicht von 50 Tonnen sind die XXL-Dros­seln (im Bild rechts) etwa doppelt so groß wie die klei­neren Geschwister. (© Erik Hauffe)

Zu besich­tigen ist dieses Meis­ter­werk der Technik auf dem Werks­ge­lände eines Seeka­bel­her­stel­lers am Isthmus von Korinth in Grie­chen­land. Hier, nur wenige Schritte vom Kai entfernt, werden die auf riesigen Dreh­ge­stellen – soge­nannten Turn­ta­bles – aufge­rollten Seekabel geprüft, bevor sie auf Spezi­al­schiffe verladen zu den Projekten von Kunden aus aller Welt gelangen. Gebaut hat die Anlage HIGHVOLT, ein Mitglied der Rein­hausen Gruppe. Das Unter­nehmen aus Dresden ist Spezia­list für Prüf­sys­teme für die Hoch- und Höchst­span­nungs­ebene. Extreme gehören daher zum tägli­chen Geschäft.

Doch diese Anlage forderte die Inge­nieure beson­ders heraus. Günther Siebert, Leiter des Teams Trans­for­ma­toren, erklärt: „Je länger ein Kabel oder ein Kabel­system ist, desto höher muss die Leis­tung des Prüf­sys­tems sein. Bei einer Länge von 55 Kilo­me­tern müsste man eigent­lich schon ein halbes mitt­leres Kraft­werk neben die Anlage stellen, um die notwen­dige Prüf­leis­tung zur Verfü­gung stellen zu können. Daher mussten wir eine andere Lösung finden.“

Kabel für die Ener­gie­wende

Der grie­chi­sche Kabel­pro­du­zent ist mit dieser Heraus­for­de­rung nicht allein. Welt­weit und insbe­son­dere in Europa muss der Strom immer weitere Stre­cken zurück­legen und immer häufiger werden dafür Wechsel- oder Gleich­span­nungs­kabel im Meer versenkt oder unter der Erde vergraben. Der Grund: Die Elek­tri­fi­zie­rung der Welt schreitet in großen Schritten voran. Bis 2060, so rechnet das „World Energy Council“ in einer Studie vor, könnte sich die Strom­nach­frage gegen­über heute verdop­peln. Erneu­er­bare Ener­gien spielen im Bestreben, diesen Ener­gie­hunger zu stillen und dabei das Klima zu schonen, eine immer wich­ti­gere Rolle.

Die Euro­päi­sche Union zum Beispiel möchte den Anteil klima­freund­li­cher Energie bis 2030 auf mindes­tens 32 Prozent erhöhen. Um dieses Ziel zu errei­chen, ist ein gewal­tiger Netz­ausbau notwendig. Denn die Ener­gie­quellen liegen meist fernab der Ballungs­zen­tren, wie die Offshore-Wind­parks der Ostsee, die Wasser­kraft­werke in Norwegen oder die geplanten Solar­parks in der Sahara zeigen. Zahl­reiche Strom­trassen, die Meere über­brü­cken und Netze verbinden, sind daher aktuell im Bau oder in Planung.

Die Verka­be­lung der Welt

Die Geschichte des Seeka­bels beginnt mit einem Fiasko: Nur ein einziges Tele­gramm konnte das erste unter dem Meer verlegte Kabel über­tragen.

Am 29. August 1850, einen Tag, nachdem die Verbin­dung zwischen Frank­reich und Groß­bri­tan­nien stand, kappte das Netz eines Fischer­eiboots die Leitung. Schnell folgten weite­re­Ver­suche und so schritt die Verka­be­lung der Welt­meere, in erster Linie für die Kommu­ni­ka­tion, erfolg­reich voran.

Etwa 100 Jahre später, im Jahr 1954, wurde das erste Kabel zur Hoch­span­nungs- Gleich­strom-Über­tra­gung (HGÜ) zwischen der Insel Gotland und dem schwe­di­schen Fest­land im Meer versenkt: 90 Kilo­meter lang mit einer Über­tra­gungs­span­nung von 100 Kilo­volt und einer Kapa­zität von 20 Mega­watt.

Seitdem steigt die Über­tragungsspannung bei Seeka­beln konti­nu­ier­lich an. Heute sind 525 Kilo­volt Gleich­strom und 500 Kilo­volt Wech­sel­strom möglich. Insge­samt 8.000 Kilo­meter sind mitt­ler­weile welt­weit unter Wasser verlegt, 70 Prozent davon in Europa.

Erst die in den vergan­genen Jahren immens fort­ge­schrit­tene Kabel­tech­no­logie macht solche Projekte über­haupt möglich. Inzwi­schen sind Über­tra­gungs­span­nungen von 500 Kilo­volt Wech­sel­span­nung und 525 Kilo­volt Gleich­span­nung möglich. Durch neue Mate­ria­lien und Produk­ti­ons­tech­niken können Hersteller Ferti­gungs­längen von bis zu 15 Kilo­me­tern produ­zieren.

Dadurch sind weniger Muffen notwendig, um die einzelnen Kabel­ab­schnitte zu verbinden. Ein deut­li­cher Vorteil, denn jede Muffe ist eine poten­zi­elle Schwach­stelle: Etwa 50 Prozent der Ausfälle sind auf eine fehler­hafte Montage oder einen Defekt in diesen Kompo­nenten zurück­zu­führen. Ein Durch­schlag kann kata­stro­phale Folgen haben, wenn dadurch plötz­lich das ganze Netz zusam­men­bricht.

Genau das möchte der Hersteller in Grie­chen­land vermeiden. Bevor die Kabel auf die Reise gehen, muss er sie daher auf mögliche Fehl­stellen prüfen. Da die bishe­rige Anlage dies nicht mehr leisten konnte, sollte HIGHVOLT nach­rüsten. Das Funk­ti­ons­prinzip blieb gleich: „Sowohl für Gleich- als auch für Wech­sel­strom­kabel hat sich als geeig­nete Methode die Wech­sel­span­nungs­prü­fung nach dem Reso­nanz­prinzip in Kombi­na­tion mit einer Teil­ent­la­dungs­mes­sung etabliert“, erklärt Siebert.

Moderne Verle­ge­schiffe können heut­zu­tage bis zu 80 Kilo­meter Kabel trans­por­tieren. (© Shut­ter­stock)

Die Lösung: XXL-Dros­seln

Doch damit dieses Prinzip auch bei längeren Kabeln funk­tio­niert, hat sich HIGHVOLT eine Lösung einfallen lassen. Wer sich das Prüf­system in Grie­chen­land ansieht, erkennt sie sofort: Mit 4,5 Meter Breite, 3,5 Meter Höhe, 4 Meter Länge und einem Gewicht von 50 Tonnen sind die Dros­seln etwa doppelt so groß wie die klei­neren Geschwister. „In dieser Größe sind unsere XXL-Dros­seln noch gerade so auf dem Landweg trans­por­tabel und schnell einsatz­be­reit“, sagt Siebert.

Bei einem Reso­nanz­prüf­kreis sind die Dros­seln das Gegen­stück zum kapa­zi­ta­tiven Prüf­ob­jekt, in diesem Fall also dem Kabel. Verein­facht gilt die Glei­chung: Je länger das Kabel, desto größer ist die Kapa­zität und umso höher muss auch die Leis­tung der Drossel sein. Zur Stei­ge­rung der Leis­tung können zwar mehrere Dros­seln durch Reihen- und Paral­lel­schal­tung kombi­niert werden, mit den bisher verwen­deten Dros­seln wäre das jedoch nicht mehr sinn­voll gewesen. „Die neuen XXL-Dros­seln sind viermal so leis­tungs­fähig, aber nur doppelt so groß wie bisher“, so Siebert.

Während eine der alten Dros­seln eine Leis­tung von 30 Mega­volt­am­pere liefert, schafft die neue 115. Heißt: Der Kabel­her­steller in Grie­chen­land hätte zusätz­lich insge­samt 16 kleine Dros­seln einsetzen müssen, jetzt reichen ihm vier große. Das ist auch eine Platz­frage. Die 16 Dros­seln hätten eine Stell­fläche von 620 Quadrat­me­tern benö­tigt, den vier großen hingegen reichen 120 Quadrat­meter.

„Die neuen XXL-Dros­seln sind viermal so leis­tungs­fähig, aber nur doppelt so groß wie bisher.“Günther Siebert, Leiter des Teams Trans­for­ma­toren bei HIGHVOLT

Die hohe Prüf­leis­tung der XXL-Dros­seln konnte aber noch durch einen weiteren Kniff gestei­gert werden: Sie sind für einen Frequenz­be­reich von zehn bis 300 Hertz dimen­sio­niert. Bisher star­tete dieses Inter­vall bei 20 Hertz. „Je nied­riger die Prüf­fre­quenz, desto geringer ist die Menge an Prüf­strom, der in das Kabel fließen muss.

Bei glei­cher Prüf­span­nung können also längere Kabel­stre­cken geprüft werden“, erklärt Siebert. Doch die Poten­ziale der XXL-Dros­seln sind damit noch lange nicht ausge­schöpft. Durch den modu­laren Aufbau der Anlagen können sie nach­träg­lich ausge­baut werden. „In einem Prüf­system können wir bis zu 16 Dros­seln mitein­ander kombi­nieren. Damit lassen sich dann theo­re­tisch auch 200 Kilo­meter lange Kabel prüfen“, so Siebert. Noch ist kein Schiff groß genug, diese Kabel an einem Stück zu trans­por­tieren. Aber eines ist sicher: Ange­sichts der wach­senden Nach­frage nach Elek­tri­zität gehen die Kabel­pro­jekte so schnell nicht aus.


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Siebert@highvolt.de


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