„Wir werden den Namen Maschi­nen­fa­brik völlig neu aufladen“

150 Jahre geschafft! Und jetzt? Die Geschäfts­führer Dr. Nicolas Maier-Scheu­beck und Michael Rohde verraten ihre Ideen für die Zukunft.

Wird es die MR auch in 150 Jahren noch geben?

SCHEUBECK: Da bin ich mir sicher, trotz des für eine Prognose unge­wöhn­lich langen Zeit­raums. Aller­dings wird die MR dann defi­nitiv ganz anders sein als heute. Auf diese Verän­de­rungen wird man aber nicht 150 Jahre warten müssen. Das geht viel schneller.

ROHDE: Dafür bürgen schon die vielen Meta­mor­phosen der Unter­neh­mens­tä­tig­keit seit der Grün­dung. Wir haben Holz­be­ar­bei­tungs­ma­schinen und sogar ein Flug­zeug gebaut und dann vor 90 Jahren den Einstieg in die elek­tri­sche Ener­gie­technik bewäl­tigt. Die MR hat also bereits einige tech­no­lo­gi­sche Zeiten­wenden erlebt und wird deshalb auch kommende Heraus­for­de­rungen erfolg­reich meis­tern.

Sie rekla­mieren also Wand­lungs­fä­hig­keit für
Ihr Unter­nehmen. Als allei­niger Über­le­bens­vor­teil für MR ist das ein biss­chen wenig, oder?

ROHDE: Die Wand­lungs­fä­hig­keit allein macht es noch nicht, das stimmt. Wir leben davon, unseren Kunden extrem nah zu sein. Inno­va­tion entsteht ja nicht dadurch, dass ein genialer Inge­nieur sich in die Kammer einschließt und etwas erfindet, sondern indem man dem Kunden zuhört, seinen Umgang mit Produkten und Dienst­leis­tungen erkennt und dafür sorgt, dass im Zeit­ab­lauf wech­selnde Heraus­for­de­rungen bewäl­tigt werden und die Kunden begeis­tert bleiben. Die Netz­to­po­lo­gien in Austra­lien sind andere als in Down­town Manhattan und in Lesotho noch­mals ganz anders. MR ist aber in der Lage, für alle diese Bedürf­nisse maßge­schnei­derte und dauer­haft funk­tio­nie­rende Lösungen bereit­zu­stellen.

„Wir sehen uns als Vermittler zwischen den Bedürf­nissen der Netz­be­treiber und den Möglich­keiten der Transformatoren­hersteller.“Dr. Nicolas Maier-Scheu­beck

SCHEUBECK: Unsere Kern­kom­pe­tenz ist es, insbe­son­dere an den Schnitt­stellen zwischen Kunden­systemen Nutzen zu stiften. Wir rüsten Transforma­toren nicht nur mit Über­wa­chungs- und Rege­lungs­technik aus, sondern nehmen dabei explizit die
Perspek­tive des wirt­schaft­li­chen und sicheren Netz­betriebs ein. Damit vermit­teln wir beispiels­weise konse­quent zwischen den Bedürf­nissen der Netz­be­treiber sowie der System­integratoren und den Möglich­keiten der Transformatoren­hersteller.

Und wir beschreiben so auch die DNA des Unter­neh­mens. Schließ­lich ging vor 90 Jahren der Impuls zum Einstieg in die elek­tri­sche Ener­gie­technik von einem Manager der Ener­gie­ver­sor­gung aus, der eine Erfin­dung zur Rege­lung von Trans­for­ma­toren unter Last gemacht hatte. Inso­fern ist es gera­dezu ein histo­ri­scher Auftrag, dieses syste­mi­sche Denken und Wissen zu pflegen. Aber den wich­tigsten Grund, warum es MR auch in ferner Zukunft noch geben wird, haben wir Ihnen noch gar nicht verraten.

Was ist denn der wich­tigste Grund?

SCHEUBECK: Wir werden gebraucht. Ich sehe da mehrere Trends: In der Ener­gie­ver­sor­gung geht es immer stärker um Dezen­tra­lität. Gleich­zeitig werden aber auch die Kunden­sys­teme immer komplexer. Je viel­ge­stal­tiger aber die Anfor­de­rungen an Netz­be­trieb und Netz­be­triebs­mittel werden, umso stärker rücken die kriti­schen Netz­knoten, welche die zuneh­mend semi­autark werdenden Netz­abschnitte mitein­ander verbinden, in den Vorder­grund. Intel­li­gente Betriebs­mittel an diesen Schnitt­stellen werden unab­dingbar für die sichere und wirt­schaft­liche Betriebs­füh­rung von Strom­netzen der Zukunft.

ROHDE: Die Schwel­len­länder wachsen stark. Bald gibt es neun Milli­arden Menschen auf der Welt. Die wollen alle Strom. Die reifen Volks­wirt­schaften kämpfen mit einer alternden Infra­struktur und betreiben gleich­zeitig die ökolo­gi­sche Abkehr von netz­stabilisierenden fossilen Groß­kraft­werken hin zu vielen dezen­tralen erneu­er­baren Erzeu­gungs­quellen. Die Vola­ti­lität, die Unsi­cher­heiten und die Komple­xität wachsen expo­nen­ziell. Wir wollen die Hersteller von Trans­for­ma­toren befä­higen, unseren gemein­samen Kunden, den Netz­be­trei­bern, ange­passte Instru­mente für eine jeder­zeit sichere und wirt­schaft­liche Strom­versorgung an die Hand zu geben.

SCHEUBECK: Hinzu kommen globale Trends, wie zum Beispiel die Entste­hung von Mega­citys, die Elek­tro­mo­bi­lität oder komfor­table Gebäu­de­technik für eine wach­sende, anspruchs­vol­lere und alternde Bevöl­ke­rung. Da dürfen die Ener­gie­netze nicht aus dem Takt geraten. Dazu braucht es im Hinter­grund Diri­genten mit Über­sicht.

Moment mal, Sie sagen „Diri­gent“. Als Zulie­ferer der Transformatoren­industrie und Dienst­leister von Ener­gie­ver­sor­gern ist MR ja wohl nicht unbe­dingt ein Diri­gent.

ROHDE: Auf den ersten Blick sicher­lich nicht. Und dennoch haben wir 2015 zusammen mit befreun­deten Premium­zulieferern eine Vision des Trans­for­ma­tors der Zukunft präsen­tiert, der bei Herstel­lern und Betrei­bern große Aufmerk­sam­keit erfahren hat. Da bekamen wir dann aller­dings schon auch einmal zu hören: „Wie kommt ihr als Zulie­ferer eigent­lich dazu, uns Herstel­lern sagen zu wollen, wie unser Produkt künftig aussehen soll?“ Unsere Antwort war: Klar, wir könnten auf den gelegten Schienen jetzt noch die nächsten zehn, zwanzig Jahre munter im Kreis fahren. Nichts wäre einfa­cher. Aber wir wollen doch gemeinsam mit den Transformatoren­herstellern die tech­no­lo­gi­schen Möglich­keiten nutzen, um unseren Kunden, den Netz­be­trei­bern, best­mög­lich zu helfen. Wir wollen, dass Netz­be­treiber ihre Herausforder­ung­en immer besser und zugleich einfa­cher bewäl­tigen können.

SCHEUBECK: Konse­quen­ter­weise haben wir auf der Cigré 2018 in Paris dann auch das erste Mal kein neues elek­tro­me­cha­ni­sches Produkt vorge­stellt, sondern ein Betriebs­system für den auto­ma­ti­sierten Trans­for­mator als Teil des digi­talen Umspann­werks. Hiermit reali­sieren wir erst­mals die Verbin­dung von Aktoren, Sensoren, Infor­ma­tions- und Kommunikations­technologie und Dienst­leis­tungen. Hersteller, Inte­gra­toren und Betreiber von Netzbetriebs­mitteln errei­chen so mittels Auto­ma­ti­sie­rung und Digi­ta­li­sie­rung eine einfa­chere und zugleich bessere Strom­über­tra­gung und ‑vertei­lung.

ROHDE: Wir haben uns vorge­nommen, die Wert­schöp­fungs­stufen unserer Branche – vom Zulie­ferer über den Hersteller, den Inte­grator und den Netz­be­treiber bis hin zum indus­tri­ellen Anwender – intel­li­gent in unser neues Betriebs­system zu inte­grieren. So wollen wir helfen, die Kosten der jewei­ligen Kunden­sys­teme zu redu­zieren. Gerade dort, wo noch unklar ist, wohin sich der Markt ange­sichts der vielen Verän­de­rungen entwi­ckeln wird, sehen wir unsere Chance. Dort wollen wir mit inno­va­tiven Lösungen auf der Basis offener Stand­ards am Umbau der globalen Stromversorgungs­­infrastruktur mitwirken. Steve Jobs hat das bei Apple so ähnlich gemacht. Vor ihm hatte niemand das Telefon der Zukunft als Smart­phone beschrieben. Und sehen Sie sich jetzt um!

MR als Apple der Ener­gie­in­dus­trie — ernst­haft?

ROHDE: Der Vergleich mit Apple mag auf den ersten Blick irri­tieren, hat aber gerade vor dem Hinter­grund unserer sehr konser­va­tiven Branche und den Möglich­keiten neuer Tech­no­lo­gien auch seine Berech­ti­gung. Ein modernes Auto macht keinen Mucks ohne die Hard­ware und Soft­ware des Motor­ma­nage­ments. Ein Kampfjet ist aero­dy­na­misch instabil und der Pilot kann ihn nur mit intel­li­genter Steue­rungs­un­ter­stüt­zung fliegen.
Heute schon müssen auch Strom­netze zuneh­mend an der Grenze zur Insta­bi­lität sicher betrieben werden. Das geht nur mittels einer intel­li­genten Vernet­zung von Aktoren, Sensoren, Infor­ma­tions- und Kommunikations­technologie sowie Dienst­leis­tungen. Die Betreiber der vola­tilen Ener­gie­netze von morgen brau­chen aktu­elle Zustands- und Verfügbarkeits­informationen, benö­tigen Auto­ma­ti­sie­rungs­technik und Exper­ten­sys­teme zur schnellen Entschei­dungs­fin­dung.

Ohne intel­li­gente Betriebs­mittel ist kein sicherer Netz­be­trieb mehr möglich – vor allem nicht unter den zukünftig stark verän­derten Bedin­gungen. Natür­lich braucht es auch morgen zuver­läs­sige Hard­ware: exzel­lent gebaute Trans­for­ma­toren mit ausge­reiften Stufen­schal­tern. Das allein reicht aber nicht mehr. Denn die verän­derten Betriebs­bedingungen erfor­dern Know-how für die intel­li­gente Netz­be­triebs­füh­rung und das voraus­schau­ende Asset-Manage­ment der Zukunft Und wir als MR haben für uns den Anspruch formu­liert, hier wieder ganz vorne mitzu­spielen.

„Wir haben uns vorge­nommen, die Wert­schöp­fungs­stufen unserer Branche intel­li­gent in unser neues Betriebs­system zu inte­grieren.“Michael Rohde

SCHEUBECK: Uns ist bewusst, dass wir dabei auch ein Stück weit an dem Ast sägen müssen, auf dem wir sitzen. Aber besser, wir bringen den Fort­schritt in die Branche, als dass dies jemand anderes tut.

Sie setzen also offensiv auf Inno­va­tion. Müssen Sie dazu nicht auch alte Zöpfe abschneiden?

SCHEUBECK: Ja, denn man kann nur begrenzt das Alte neben dem Neuen herlaufen lassen. Weil das Neue stets der Feind des Bestehenden ist, verbindet sich mit unserem Anspruch auch die Aufgabe, tradierte Struk­turen kraft­voll einem Ende zuzu­führen. Andern­falls kann die Komple­xität des Über­gangs von Tech­no­lo­gien uns und unsere Kunden schnell über­for­dern. Genau das gilt es zu verhin­dern.

Jetzt mal konkret: Wird MR in Zukunft noch mecha­ni­sche Last­stu­fen­schalter bauen?

SCHEUBECK: Ja, mit Sicher­heit noch mindes­tens die nächsten 20 Jahre lang. Das mecha­tro­ni­sche Prinzip ist ja mit dem Wort „Maschi­nen­fa­brik“ auch in der Firmen­be­zeich­nung fest veran­kert. Aber wir werden den Begriff „Maschi­nen­fa­brik“ in großen Schritten völlig neu aufladen und uns zur „Anwen­dungs­fa­brik“ wandeln.

Sie stellen ein Stück weit Ihre derzei­tige Haupt­einnahme­quelle infrage. Ganz schön riskant, nicht?

ROHDE: Trans­for­ma­toren und auch Stufen­schalter wird es noch lange geben. Beide werden sich jedoch stark verän­dern. Viel klas­si­sche Elek­tro­me­chanik im Stufen­schalter kann durch neue Antriebs­kon­zepte ersetzt werden – und das bei deut­lich höherer Zuver­läs­sig­keit. Auch hierfür haben wir bereits auf der Cigré Beispiele gezeigt.

Unbe­quem wird eher die Gleich­zei­tig­keit von Neuem und Alten, denn die Trans­for­ma­tion von Markt­ver­hält­nissen und Tech­no­lo­gien ist schon in vollem Gange. Aber wir vertrauen da der Erfah­rung unserer Beleg­schaft und natür­lich auch unserem unter­neh­me­ri­schen Gespür. Para­lyse durch Analyse bringt uns nicht voran. Niemand gibt den Weg vor. Wir gehen ihn selbst.

Gibt es denn ein realis­ti­sches Zukunfts­sze­nario, das Ihre Pläne für MR völlig über den Haufen werfen könnte?

ROHDE: So richtig schwierig würde es für den klas­si­schen Trans­for­mator und damit auch für den Stufen­schalter werden, wenn die System­kosten für umrichter­basierte Netze und gleich­zeitig die Kosten für elek­tri­schen Spei­cher extrem sänken. Dann bräuchte es zwar immer noch viel Intel­li­genz zur Netz­steue­rung, aber hier wären dann eher Erfah­rungen aus unserem Power-Quality-Geschäft gefragt.

Ein derar­tiger flächen­de­ckender Einsatz der Leis­tungs­elek­tronik brächte aller­dings auch erheb­liche ökolo­gi­sche Heraus­for­de­rungen mit sich: In Afrika und Austra­lien müssten Hunderte Millionen Tonnen Erde bewegt werden, um noch ein paar zusätz­liche Kilo seltener Elemente zu gewinnen.

SCHEUBECK: Die Infrastruktur­eingriffe wären gewaltig. Aber selbst wenn so etwas passieren würde, ginge es nur langsam voran. Wir hätten also genug Zeit, auch darauf zu reagieren, und beschäf­tigen uns ja auch heute schon mit derar­tigen Szena­rien. Wir glauben aller­dings eher an ein intel­li­gentes Mitein­ander unter­schied­li­cher Tech­no­lo­gien in sich perma­nent wandelnden Kunden­sys­temen.

Bei all den vorhin bespro­chenen Trends sind wir auf einen noch gar nicht richtig einge­gangen: die Globa­li­sie­rung. Kann da ein mehr­heit­lich in Fami­li­en­ei­gentum stehendes Unter­nehmen wie MR über­haupt mit den oft genug börsen­no­tierten Bran­chen­größen mithalten?

SCHEUBECK: Wir beob­achten in der Tat wieder eine zuneh­mende Tendenz des „Groß frisst Klein“. Das ist kein Wunder bei allen diesen gewal­tigen Umbrü­chen, die wir zur Zeit beob­achten können: neue Seiden­straße, erwa­chendes Afrika, Digi­ta­li­sie­rung, Renais­sance staat­li­cher Industrie­politik, mani­pu­lierte Kapi­tal­markt­zinsen. Wer setzt hier mit welchen Inter­essen die neuen Stan­dards? Wo ist dabei der Platz für die unab­hän­gigen Markt­teil­nehmer?

„Uns ist bewusst, dass wir dabei auch ein Stück weit an dem Ast sägen müssen, auf dem wir sitzen.“Dr. Nicolas Maier-Scheu­beck

ROHDE: Wachsen wollen natür­lich auch wir über dem Branchen­durchschnitt, allein schon um rele­vant zu bleiben. Aber zu den ganz Großen der Branche wollen wir dennoch nicht gehören. Das passt nicht zu uns, wir agieren lieber im Hinter­grund und unter­stützen unsere Kunden an den tech­nisch entschei­denden Stellen.

„Wir haben gute Start­be­din­gungen für die große Aufgabe, Neues in diese konser­va­tive Branche zu bringen.“Michael Rohde

Warum passt Größe nicht zum Unter­nehmen MR?

SCHEUBECK: Wachstum ist unbe­dingt notwendig, um den unter­schied­li­chen Erwar­tungen, denen sich die Unternehmens­tätigkeit stellen muss, gerecht werden zu können. Unter­neh­mens­größe ist für uns aber kein Selbst­zweck, denn dann müssten wir unser Geschäfts­mo­dell wech­seln. Klar, ein Fami­li­en­un­ter­nehmen zu sein hat auch Nach­teile. Aller­dings gibt es ebenso eine Reihe von Vorteilen, gerade für Mitar­beiter und Kunden. Von uns denkt niemand in Quar­talen, wir können anti­zy­klisch handeln, an echtem Fort­schritt für die Branche arbeiten und damit langsam den Markt durch­dringen. Wir verstehen die Kunden und wir verstehen unsere Tech­no­logie und nutzen die Unab­hän­gig­keit als Treib­stoff sowohl für Inno­va­tionen als auch für Koope­ra­tionen. 150 Jahre lang ist die MR damit gut gefahren, warum also nicht auch in Zukunft?

Was kann denn MR, was andere nicht können?

ROHDE: Wir haben eine riesige instal­lierte Basis.
50 Prozent der welt­weiten elek­tri­schen Energie fließen durch unsere Produkte. Die Kunden kennen uns in der Strom­über­tra­gung und ‑vertei­lung seit mehr als 90 Jahren und wir sind ihnen mit fast 50 inter­na­tio­nalen Tochter­gesellschaften sehr nahe. Dabei genießt die Marke MR einen enormen Vertrau­ens­vor­schuss – aufgrund der jahr­zehn­te­lang und weiterhin tagtäg­lich erwie­senen Exzel­lenz unserer Mitar­beiter und Produkte. Das sind nur einige unserer Start­be­din­gungen für die große Aufgabe, Neues in diese konser­va­tive Branche zu bringen.

Herr Maier-Scheu­beck, Herr Rohde — danke für das Gespräch!

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