Solaranlagen, Ladesäulen für E‑Autos und Batteriespeicher haben eines gemeinsam: Sie sind Gleichstromsysteme. Doch solange sie über Wechselstromnetze miteinander verbunden sind, entstehen hohe Wandlungsverluste. Sind Gleichstromnetze die Lösung?
Ganz am Anfang der Elektrifizierung der Welt stand ein Streit. Thomas Alva Edison, den meisten als Erfinder der Glühbirne bekannt, war überzeugt, dass Gleichstromnetze die beste Variante sind, um die Menschen mit Elektrizität zu versorgen. Für seinen Kontrahenten George Westinghouse, Ingenieur und Unternehmer, war klar: Wechselstrom ist für die Übertragung elektrischer Energie besser geeignet. Und so begann Ende des 19. Jahrhunderts ein Wettstreit um den künftigen Standard. Am Ende setzte sich Westinghouse bekanntermaßen durch: Dem Transformator sei Dank war es deutlich wirtschaftlicher, Wechselstrom über weite Strecken zu transportieren. Doch könnte Edison am Ende doch noch als Sieger hervorgehen? Denn heute, gut 130 Jahre später, sieht es ganz danach aus, als könnten Gleichstromnetze ein Comeback feiern — wenn auch vorerst im kleineren Maßstab.
Solarenergie ist auf dem Vormarsch
Die Energiewende macht’s möglich und auch notwendig. Um die Erderwärmung aufzuhalten, steigen weltweit die Aktivitäten, um den Ausstieg aus den fossilen Energieträgern voranzutreiben und so schnell wie möglich durch regenerative Quellen zu ersetzen. Schon heute stammen etwa 50 Prozent des produzierten Stroms in Deutschland aus Solar- oder Windkraftanlagen. Und geht es nach der aktuellen deutschen Bundesregierung, sollen bis 2035 insgesamt 300 Gigawatt aus erneuerbaren Energien stammen, ein Großteil davon aus Solarenergie.
Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme aus Freiburg hat errechnet, dass in Deutschland theoretisch genügend Fläche zur Verfügung stünde, um 3.160 Gigawatt solar zu erzeugen, 400 Gigawatt würden bereits reichen, um Gas, Öl, Kohle und Kernkraft überflüssig zu machen. Ob die Ziele der Bundesregierung fristgerecht erfüllt werden, ist ungewiss. Doch die Zeit drängt, denn gleichzeitig steigt der Bedarf durch Verbraucher wie E‑Autos und Wärmepumpen, die explizit Gleichstrom benötigen. Und um den täglichen Bedarf trotz der volatilen Energieerzeugung von Wind und Solar konstant zu decken, werden immer mehr Batteriespeicher nötig sein.
„In Summe verpuffen zwölf Prozent des grünen Stroms. Technisch und wirtschaftlich ist das völlig ineffizient.“Stephan Rupp, Netzexperte bei Reinhausen
Allen gemeinsam ist, dass sie Gleichstromsysteme sind. Bislang sind sie jedoch jeweils über einen Umrichter mit dem Wechselstromnetz verbunden. Stephan Rupp, Netzexperte und Geschäftsentwickler bei Reinhausen, der sich intensiv mit der Zukunft der Stromnetze auseinandersetzt, erklärt: „Technisch und wirtschaftlich ist das völlig ineffizient.“
Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Wenn mittags die Sonne scheint, produzieren die Solaranlagen den meisten Strom. Der größte Bedarf entsteht dagegen in den Abendstunden, wenn die Menschen von der Arbeit nach Hause kommen und beispielsweise ihre E‑Autos laden. Deshalb landet der Mittagsstrom in der Zwischenzeit in einem Batteriespeicher. Eigentlich ein sinnvolles Konzept.
Doch der Weg vom Erzeuger bis zum Verbraucher ist aktuell noch ziemlich umständlich: Von der Solaranlage geht der Strom zunächst ins AC-Netz, von dort in den Batteriespeicher, dann wieder zurück ins AC-Netz, bis er dann schließlich in die Ladestation gelangt. Vier Wandlungsstufen hat der Strom also hinter sich, bis er die Autobatterie lädt. „Auf jeder Stufe entstehen Verluste von mindestens drei Prozent. In Summe verpuffen also zwölf Prozent des grünen Stroms ungenutzt“, sagt Rupp. Wäre es nicht viel einfacher, wenn wir Gleichstrom direkt aus der Steckdose beziehen könnten?
Fehlende Standards für DC-Technologie
In Zukunft wird der Großteil des Solarstroms auf den Dächern und an den Fassaden im Niederspannungsnetz, also lokal erzeugt. „Eine Kopplung der Gleichstromsysteme auf der untersten Spannungsebene ohne den Umweg über das Wechselstromnetz wäre am sinnvollsten“, meint Rupp. Ein solches Gleichstromnetz hätte zudem den Vorteil, dass die Leitungen bei einer etwas höheren Gleichspannung im Vergleich zur Wechselspannung deutlich dünner sein könnten und weniger Leitungen benötigt werden. Rund 40 Prozent weniger Kupfer würden gebraucht.
„Die Lösung könnten zunächst kleine, lokale Niederspannungs-Gleichstromnetze, sogenannte DC-Microgrids, sein“, so Rupp. Doch noch fehlen Normen und Standards für die notwendige Technik, die solche Netze erfordern und sie letztlich bezahlbar machen. Marco Stieneker, Projektleiter DC Power Applications bei Reinhausen, betont: „Wir müssen dahin kommen, dass die DC-Technik sich nach dem Plug-and-Play-Prinzip einsetzen lässt. Nur dann wird Gleichstrom Erfolg haben.“
„Eine Kopplung der Gleichstromsysteme auf der untersten Spannungsebene ohne den Umweg über das Wechselstromnetz wäre am sinnvollsten.“Stephan Rupp, Geschäftsentwickler, Reinhausen
Um diese Wege zu erforschen, beteiligt sich Reinhausen an einer Reihe von Projekten. Dazu zählen das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kopernikus-Projekt ENSURE (Neue EnergieNetzStrukturen), bei dem unter anderem DC-Stationen getestet werden, das Projekt HPC-Prime (High Power Charging) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klima (BMWK), das Schnellladesäulen für Gleichspannungsnetze entwickelt, sowie das Projekt DC-Industrie, das an Gleichspannungsnetzen für Industrieanwendungen arbeitet.
Stieneker, der bei Reinhausen die dafür notwendigen technischen Lösungen für DC-Anwendungen entwickelt, betont: „Wir fangen nicht bei null an. Wir haben schon seit vielen Jahren Erfahrungen mit Leistungselektronik, Umrichter- und Batteriesystemen gesammelt. Wir haben ein solides Systemverständnis aus der alten Welt und wir wissen, wie wir dieses Know-how in die neue Welt transformieren können.“
REINHAUSEN INSIDE
Die Netzspezialisten von Reinhausen haben bereits einsatzfähige, innovative DC-Lösungen entwickelt:
GRIDCON® High Power Charger
Die bidirektionale Ladesäule von Reinhausen lässt sich direkt an DC-Systeme anschließen und ermöglicht schnelles Laden von Elektrofahrzeugen mit bis zu 250 kW. Der integrierte bidirektionale Wechselrichter übernimmt auch die Netzanbindung für angeschlossene Batteriespeicher. Außerdem ermöglicht er den Betrieb von batteriebetriebenen Fahrzeugen als mobile, bidirektionale Speicher in einem künftigen SmartGrid.
GRIDCON® DC Transformer
Der erste galvanisch getrennte DC/DC-Wandler am Markt lässt sich wie ein geregelter AC-Leistungstransformator nutzen. Somit können auch DC-Netze verschiedener Spannung und unterschiedlicher Netzform verbunden und dabei der Lastfluss gezielt geregelt werden.
GRIDCON® Power Conversion System
Das modulare Wechsel-/Umrichtersystem zur DC- und AC-Versorgung in der Niederspannung ermöglicht die Kopplung von Gleichstromnetz und Mittelspannungsnetz in den DC-Stationen.
Gleichspannung im Ortsnetz
Konkrete Anwendungsfälle für direkt gekoppelte Gleichstromsysteme sind Einkaufszentren und Gewerbegebiete. Hier gibt es viel Platz für Solaranlagen auf den Gebäuden oder sogar über den Parkplätzen. Während die Menschen einkaufen oder in den Büros arbeiten, könnten sie ihre E‑Autos direkt mit dem sauberen Sonnenstrom laden. Batteriespeicher sorgen dafür, dass das auch dann geht, wenn Wolken den Himmel bedecken.
Aber wie könnte ein solches Niederspannungs-Gleichstromnetz funktionieren? Im Prinzip ganz ähnlich wie ein Wechselstromnetz auch. Analog zum Ortsnetztrafo müsste eine DC-Station an die Mittelspannung angeschlossen werden. Sie ist gewissermaßen das Herzstück des DC-Netzes, funktioniert technisch wie ein Umrichter mit einem eingebauten Transformator und versorgt das Gleichspannungsnetz mit 1.500 Volt Gleichspannung mit Leistungen von bis zu 2.000 Kilowatt.
„Wir müssen dahin kommen, dass die DC-Technik sich nach dem Plug-and-Play-Prinzip einsetzen lässt. Nur dann wird Gleichstrom Erfolg haben.“Marco Stieneker, Projektleiter DC Power Applications bei Reinhausen
Reinhausen hat für die DC-Stationen bereits eine Lösung entwickelt, die gegenwärtig im Rahmen des ENSURE-Projekts erprobt wird: das GRIDCON® Power Conversion System. „Es handelt sich dabei um ein modulares Wechselstrom-Umrichtersystem zur DC- und AC-Versorgung in der Niederspannung“, so Stieneker. Stellt das Gleichspannungsnetz die Erweiterung eines bestehenden AC-Netzes dar, könnte die DC-Station zusätzlich zum Ortsnetztransformator aufgestellt werden. Im Fall von Netzausfällen oder Störungen ist sie dann in der Lage, aus dem Batteriespeicher im Gleichspannungsnetz auch ein AC-Netz zur Sicherstellung der Versorgung aufzuspannen. Und sie kann auch AC-Anschlüsse in der Niederspannung zur Versorgung von Wechselstromanlagen bereitstellen. Das erhöht die Autonomie der Anlagen und die Versorgungssicherheit der Netze.
Die Industrienetze von morgen
Auch für Industriebetriebe bieten Gleichspannungsnetze ein enormes Potenzial. 70 Prozent des industriellen Stromverbrauchs entfallen auf die elektrischen Antriebe. Ohne sie wäre die Steuerung von Robotern, wie sie in der Automobilindustrie eingesetzt werden, unmöglich. Allerdings verursachen die für die präzise Motoransteuerung notwendigen Frequenzumrichter ebenfalls Wandlungsverluste. Direkt an ein DC-Netz angeschlossen, würden diese reduziert. Zudem könnte die Bremsenergie in Form von Gleichstrom zurückgespeist werden und — wenn das Netz intelligent gesteuert ist — andere Anlagen direkt versorgen. Roboter beispielsweise müssen in ihren Bewegungsabläufen sehr häufig abbremsen. Die Energie, die dabei entsteht, verpufft jedoch bislang in Form von Wärme. Ein weiterer Nachteil von Frequenzumrichtern ist, dass sie störende Oberschwingungen erzeugen.
Entfallen diese, wird auch die Stromversorgung im Werk sicherer und Produktionsausfälle werden vermieden. Insgesamt können Industriebetriebe ihre Effizienz also deutlich steigern, wenn sie im Werk ein DC-Netz aufspannen. Fachleute schätzen, dass dadurch fünf Prozent Strom eingespart werden können.
EINE STECKDOSE FÜR GLEICHSTROM
Wenn Verbraucher, die auf Gleichstrom basieren, sich direkt mit Gleichspannung versorgen ließen, gäbe es keine Wandlungsverluste.
Gleichstrom über alle Netzebenen
Perspektivisch ist auch eine Gleichstromübertragung auf Mittelspannungsebene denkbar. Forschungsprojekte wie AC2DC, gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima (BMWK), in dem Reinhausen zusammen mit der TU Dresden arbeitet, beschäftigen sich damit bereits. Um die unterschiedlichen Spannungsebenen miteinander zu koppeln, sind dann Gleichstromtransformatoren notwendig. Auch hier hat Reinhausen mit dem GRIDCON® DCT eine innovative Lösung entwickelt. „Dabei handelt es sich um einen galvanisch getrennten DC-DC-Wandler, der sich im Prinzip genauso verhält wie ein geregelter AC-Leistungstransformator“, erklärt Stieneker.
Kommt also irgendwann nur noch Gleichstrom aus der heimischen Steckdose? Netzexperte Rupp glaubt nicht, dass das so schnell passieren wird. „Aber ich kann mir vorstellen, dass sich die DC-Technik langsam als Co-Infrastruktur auch in Wohngebäuden und Werksgebäuden etabliert und zum Beispiel die Solaranlage auf dem Dach mit der Wärmepumpe im Keller und dem Auto in der Garage koppelt.“ Es könnte also sein, dass Gleich- und Wechselstrom zumindest mit einem Unentschieden aus der Geschichte hervorgehen.
IHRE ANSPRECHPARTNER
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Stephan Rupp und Marco Stieneker helfen gerne:
Stephan Rupp: S.Rupp@reinhausen.com
Marco Stieneker: M.Stieneker@reinhausen.com