Halb­leiter im Netz

Die Ener­gie­wende hat große Auswir­kungen auf die Verteil­netze. Über 90 Prozent der Erzeuger erneu­er­barer Ener­gien speisen künftig dort ein. Ein Forschungs­pro­jekt ermit­telt, wie Verteil­netze der Zukunft aussehen. Die Basis: netz­bil­dende Spei­cher von Rein­hausen.


Auf den ersten Blick ist Nieder­bobritzsch eine Gemeinde wie Tausende andere: eine Kirche, land­wirt­schaft­liche und Gewer­be­be­triebe, eine kleine Fabrik, ein paar Läden und etwa 800 Haus­halte. Doch wer genau hinsieht, entdeckt einen grauen Container. Der ist das sicht­bare Zeichen, dass in Nieder­bobritzsch Zukunft geschrieben wird: Der Strom­ver­sorger MITNETZ STROM und Rein­hausen erfor­schen hier, unweit der säch­si­schen Stadt Frei­berg, zusammen mit zwei Hoch­schulen, wie die Ener­gie­wende gelingen kann.

„Die Ener­gie­wende findet vor allem in den Verteil­netzen statt. Deshalb besteht hier Forschungs­be­darf.“ Jens Schwedler, Projekt­leiter, MITNETZ STROMs

Um diese zu stemmen, müssen künftig gewal­tige Mengen zusätz­li­cher elek­tri­scher Energie durch die Strom­netze trans­por­tiert werden. Vor allem die Dekar­bo­ni­sie­rung der Sektoren Wärme und Verkehr wird in den nächsten Jahren und Jahr­zehnten die Netze belasten (siehe ONLOAD 07). Netz­be­treiber suchen nach neuen Lösungen zum Ausbau der Netze. Bei Rein­hausen setzen sich mit diesem Thema Stephan Rupp und Dirk Wüsten­berg intensiv ausein­ander. „Wir suchen neue Antworten auf die Frage, wie die Netze die wach­senden Ener­gie­mengen aufnehmen können und sich gleich­zeitig die Lücke zwischen Erzeu­gung und Bedarf schließen lässt, die durch die zuneh­mende Vola­ti­lität entsteht“, berichtet Geschäfts­ent­wickler Rupp.

Intel­li­gente Verteil­netze

Im Zuge der Ener­gie­wende muss der Solar­strom künftig kräftig ausge­baut werden. Ein Groß­teil der Anlagen wird sich auf Dächern und Fassaden finden und somit in den Orts­netzen. Diesen Solar­strom durch die Verteil­netze bis in die Trans­port­netze zu führen, ist keine sinn­volle Lösung. Der Ausbau der Netze wäre extrem kosten­in­tensiv und für ein Über­an­gebot an Solar­strom um die Mittags­zeit würden sich schwer Abnehmer finden. Umge­kehrt müssen in den Abend­stunden große Mengen an Strom aus dem Netz bezogen werden, denn auch auf der Verbrau­cher­seite wächst der Bedarf durch Lade­sta­tionen für Elek­tro­fahr­zeuge und elek­trisch betrie­bene Wärme­pumpen.

Was tun mit dem über­schüs­sigen Solar­strom in den Verteil­netzen? Netz­bil­dende Spei­cher lösen in Nieder­bobritzsch eines der drän­gendsten Probleme der Ener­gie­wende. (© 360 Grad Team)

Abhilfe kann eine Flexi­bi­li­sie­rung der Verteil­netze schaffen: Die Möglich­keit zur Spei­che­rung von Solar­strom nahe der Quelle und somit in den Orts­netzen. Eine weitere Möglich­keit zur Flexi­bi­li­sie­rung bietet die Anpas­sung der Nach­frage nach Strom an das Angebot mithilfe einer intel­li­genten Last­steue­rung. Lösungen, die darüber hinaus einen auto­nomen Betrieb der Verteil­netze im Fehler­fall bieten, wären außerdem in der Lage, die Versor­gungs­si­cher­heit zu erhöhen.

Jens Schwedler, der als Projekt­leiter beim mittel­deut­schen Verteil­netz­be­treiber MITNETZ STROM an den Orts­netzen der Zukunft arbeitet, berichtet: „Rund 55.000 Anlagen für erneu­er­bare Energie sind an unsere Verteil­netze ange­schlossen.“ Für Jens Schwedler liegt eines deshalb auf der Hand: „Die Ener­gie­wende findet vor allem in den Verteil­netzen statt. Hier besteht heute drin­gender Hand­lungs- und Forschungs­be­darf, wenn wir bei der zuneh­menden Vola­ti­lität von Einspei­sung und Entnahme die Span­nungs­qua­lität auch in Zukunft aufrecht­erhalten wollen.“

Schlaue Steue­rung

Eine intel­li­gente Steue­rung balan­ciert Angebot und Nach­frage aus. Wird mehr Strom im Verteil­netz erzeugt als benö­tigt, wird das Über­an­gebot gespei­chert, die Wärme­pumpen springen an und die Elek­tro­fahr­zeuge laden.


Rein­hausen Inside
GRIDCON® Power Conver­sion System

Mit diesem modu­laren Wech­sel­strom-Umrich­ter­system zur DC- und AC-Versor­gung in der Nieder­span­nung reali­siert Rein­hausen seine Ener­gie­spei­cher­lö­sungen. Das System sichert die Span­nungs­qua­lität und unter­stützt ein breites Spek­trum feld­erprobter Anwen­dungen wie zum Beispiel das Bereit­stellen eines Ersatz­netzes. Es lässt sich kunden­spe­zi­fisch konfi­gu­rieren und erwei­tern.

Entkop­pelte Orts­netze

Die Netze komplett auszu­bauen und mit neuen Kabeln und neuen Trans­for­ma­toren auf Last- bezie­hungs­weise Erzeugungs­spitzen auszu­legen ist ein aus Kosten­gründen nicht gang­barer Weg. „Es braucht intel­li­gen­tere Lösungen, um die Vola­ti­lität in den Griff zu bekommen, als den Aufbau teurer Über­ka­pa­zi­täten“, meint Schwed­lers Kollege Jan Schön­feld. Um genau solche Lösungen zu erfor­schen, hat die MITNETZ STROM vor zwei Jahren ein Forschungs­projekt ins Leben gerufen. Seitdem arbeiten Schwedler und Schön­feld mit der Hoch­schule Mitt­weida, der Tech­ni­schen Univer­sität Dresden und Rein­hausen als Technologie­partner zusammen. Im Rahmen des vom Bundes­ministerium für Wirt­schaft und Energie geför­derten Projekts erfor­schen sie gemeinsam die Vorteile der Entkop­pe­lung von Orts­netzen.

„Es braucht intel­li­gen­tere Lösungen als den Aufbau von Über­ka­pa­zi­täten.“ Jan Schön­feld, Projekt­mit­ar­beiter, MITNETZ STROM

Das Projekt mit dem etwas sper­rigen Namen „Flexi­bi­li­sie­rung des Netz­be­triebs durch entkop­pelte Orts­netze“ — kurz „FlexNet-EkO“ setzt am Über­gang vom Mittel­span­nungs- zum Nieder­span­nungs­netz an. Um die Zukunft in einem Feld­test zu erproben, hat sich MITNETZ STROM Nieder­bobritzsch ausge­sucht, eine Gemeinde, wie es sie in Deutsch­land oder sonst wo auf der Welt zu Tausenden gibt. Auch hier sieht man immer mehr Solar­pa­nele auf den Dächern. Insbe­son­dere im Sommer über­steigt die momen­tane Erzeu­gungs­leis­tung schon den Ener­gie­ver­brauch. „Wir haben hier das Phänomen der Last­fluss­um­kehr, und auch die rest­liche erneu­er­bare Energie entsteht nicht dann, wenn die Bewohner den Strom tatsäch­lich brau­chen“, sagt Schön­feld.

FlexNet-EkO

Flexi­bi­li­sie­rung des Netz­be­triebs durch entkop­pelte Orts­netze

Eine der aktuell großen Fragen ist es, wie man in einem lokalen Orts­netz flexible Verbrau­cher und Erzeuger best­mög­lich aufein­ander abstimmen kann, gleich­zeitig eine opti­male Span­nungs­qua­lität sicher­stellt sowie die vorhan­denen Betriebs­mittel entlastet und die Versor­gungs­si­cher­heit gewähr­leistet oder sogar erhöht.

Genau dieser Frage­stel­lung gehen MITNETZ STROM, die Hoch­schule Mitt­weida, die Tech­ni­sche Univer­sität Dresden und Rein­hausen im Rahmen des vom Bundes­mi­nis­te­rium für Wirt­schaft und Energie geför­derten Forschungs­pro­jekts nach.

Diese Ziele verfolgt FlexNet-EkO:

  • zuver­läs­sige Versor­gung des Orts­netzes mit hoher Span­nungs­qua­lität
  • Test des neuen Betriebs­mit­tels Netz­kupp­lung im Netz
  • Test der Ansteue­rung dezen­traler Verbrau­cher und Erzeuger mittels Frequenz­mo­du­la­tion
  • Entwick­lung von Planungs- und Betriebs­kri­te­rien für modu­lare Netze

Die Idee, an der die vier Partner nun seit über zwei Jahren gemeinsam arbeiten und die im Oktober 2021 inner­halb eines Feld­tests schon in die Tat umge­setzt wurde: Wie lässt sich mit einer leis­tungs­elek­tro­ni­schen Netz­kupp­lung ein modu­lares Verteil­netz aufbauen? Und kann man mit Batte­rie­spei­chern produk­tions- und verbrauchs­seitige Spitzen puffern, so Nach­frage und Angebot inner­halb des Verteil­netzes in Einklang bringen und Rück­wir­kungen auf die vorge­la­gerte Mittel­span­nungs­ebene redu­zieren?

„Ein netz­bil­dender Umrichter wäre wie ein Diesel­ge­ne­rator oder ein kleines Kraft­werk.“ Stephan Rupp, Geschäfts­ent­wickler, Rein­hausen

Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat Rein­hausen seine Exper­tise in der Spei­cher­tech­no­logie und im Power Quality Manage­ment in das Projekt einge­bracht. „Die Entkop­pe­lung eines Orts­netzes mit der Rein­hausen-Tech­no­logie bietet uns als Netz­be­treiber eine ganze Reihe mögli­cher Vorteile. Was wir zunächst theo­re­tisch und unter Labor­be­din­gungen erforscht haben, wird nun erst­ma­ligs in einem Orts­netz mit 200 Haus­halten unter Real­be­din­gungen getestet“, berichtet Projekt­mit­ar­beiter Schön­feld.

Halb­leiter stabi­li­seren Last­flüsse

Im Versuchs­netz in Nieder­bobritzsch ist nun ein Batte­rie­spei­cher von Rein­hausen im Einsatz, der die über­schüs­sige erneu­er­bare Energie spei­chert. Eben­falls im Fokus des Projekts sind Stabi­li­sie­rung und Harmo­ni­sie­rung der Last­flüsse inner­halb von Verteil­netzen. Dazu hat Rein­hausen in dem grauen Container neben Batte­rien auch eine leis­tungs­elek­tro­ni­sche Netz­kupp­lung mit netz­bil­dendem Umrichter unter­ge­bracht. Diese Rein­hausen-Tech­no­logie stabi­li­siert heute bereits die Last­flüsse inner­halb des Verteil­netzes unter Real­be­din­gungen.

Stolz darauf, hier Zukunft schreiben zu dürfen: das Inbe­trieb­nahme-Team von MITNETZ STROM.

„Unsere Aufgabe ist es nun, Erfah­rungen mit diesem neuen Betriebs­mittel zu sammeln und zu sehen, ob die Realität mit unseren Simu­la­ti­ons­er­geb­nissen über­ein­stimmt“, erklärt Netz­ex­perte Schwedler und ergänzt: „Die Theorie sagt, dass von der Mittelspannungs­ebene kommende Störungen heraus­ge­fil­tert und ein sauberes Span­nungs­band bereit­ge­stellt wird. Wir prüfen nun, welche Span­nungs­qua­lität sich tatsäch­lich mit einem Umrichter errei­chen lässt, und leiten daraus Planungs- und Betriebs­kri­te­rien ab.“

„Über unsere Steue­rungs­technik bringen wir auch noch Intel­li­genz ins Netz.“ Dirk Wüsten­berg, Projekt­leiter, Rein­hausen

Ein weiterer Aspekt: Die Technik soll auch dazu verwendet werden, das Netz insge­samt intel­li­genter zu machen. MITNETZ-Tech­niker Schön­feld erklärt: „Mittels intel­li­genter Steue­rung balan­cieren wir Angebot und Nach­frage aus. Wir verbrau­chen unseren lokal erzeugten Strom vor Ort und entlasten so das vorge­la­gerte Mittel­spannungs­netz. Dazu kommu­ni­ziert die Steue­rung des Umrich­ters über das Strom­netz mit Signalen im Bereich von zehn Mega­hertz direkt mit den in den Kunden­an­lagen verbauten Steu­er­boxen. Wird also viel Strom erzeugt, dann laden die Elektro­fahrzeuge, die Wärme­pumpen springen an und die Batterie im Container wird geladen. Wird später mehr Energie benö­tigt, als erzeugt wird, steht diese zur Verfü­gung.“ Es klingt nach einer echten Win-win-Situa­tion für Netz­be­treiber und Kunden.

Die dafür notwen­dige Halbleiter­technologie bringt jedoch die nächste Heraus­forderung mit sich: die Kurzschluss­leistung. Schwedler berichtet: „Um mit Halbleiter­technologie eine ausrei­chende Kurz­schluss­leis­tung bereit­zu­stellen, haben wir die Leis­tung der Anlage doppelt so groß konzi­piert, wie es eigent­lich nötig wäre. Wir sind hier auf Nummer sicher gegangen, denn wir wollten unter allen Umständen Nach­teile für unsere Kunden während des Feld­tests vermeiden.“ Sein Kollege Schön­feld ergänzt: „Es geht uns in diesem ersten Schritt darum, die Technik unter Real­be­din­gungen zu erproben. Folg­lich stehen Wirtschaftlichkeits­betrachtungen noch nicht an erster Stelle. Mit den Erkennt­nissen können wir später die tatsäch­lich notwen­dige Leis­tung dimen­sio­nieren. Sie sind später einmal nötig, damit sich die verschie­denen tech­ni­schen Alter­na­tiven mitein­ander verglei­chen lassen.“

Letzter Check der Spezia­listen von MITNETZ STROM und Rein­hausen, bevor der Container ans Netz geht.

Rein­hausen-Spezia­list Wüsten­berg ist opti­mis­tisch: „Über unsere Steue­rungs­technik bringen wir auch noch Intel­li­genz ins Netz. Wenn wir Erzeuger, Verbrau­cher und Batte­rie­spei­cher inner­halb eines Verteil­netzes auch noch steue­rungs­tech­nisch mitein­ander vernetzen, dann ergeben sich daraus schon über­zeu­gende Vorteile.“ Rein­hausen-Stra­tege Rupp denkt noch einen Schritt weiter: „Wenn die netz­bil­denden Batterie­speicher sich in den Verteil­netzen bewähren, wäre eine Entlas­tung der über­ge­ord­neten Netze möglich, da man Solar­strom aus dem Orts­netz im Verteil­netz spei­chern und verbrau­chen kann. Außerdem erreicht man höhere Versorgungs­sicherheit, da der netz­bil­dende Umrichter das Netz bereit­stellen kann, genau wie ein Diesel­ge­ne­rator oder ein kleines Kraft­werk.“ Im Moment sieht es ganz danach aus. 


IHR ANSPRECHPARTNER

Haben Sie Fragen zum Projekt?
Dirk Wüsten­berg ist für Sie da:
D.Wuestenberg@reinhausen.com


Gleich weitersagen!

Keine Ausgabe mehr verpassen?

Hier geht's zum kostenlosen Abo.