Konventionelle Kraftwerke schalten ab, Erneuerbare übernehmen — doch wo soll künftig die netzstabilisierende Blindleistung herkommen? Eine neue Technologie von MR ermöglicht es, sie in Umspannwerken bereitzustellen. Und zwar auf Höchstspannungsebene.
Revolutionen erkennt man nicht immer auf den ersten Blick: Im Umspannwerk Schwandorf, nicht weit vom Reinhausen-Standort Regensburg, fügt sich am 6. Oktober 2022 ein überdimensional großer, weißer Stecker in eine Buchse ein. Tim Meyerjürgens, Geschäftsführer von TenneT Deutschland, und Wilfried Breuer, Geschäftsführer der MR, geben mit dieser symbolischen Geste die neue MSCDN-Anlage des Umspannwerks für den Betrieb frei. Was die Gäste beim anschließenden Rundgang sehen, ist Teil der Modernisierungspläne für das Umspannwerk, das den Strom aus der Höchstspannungsebene auf die Verteilnetze des Regierungsbezirks Oberpfalz überträgt.
Was die Gäste an diesem Tag eigentlich gesehen haben, ist nicht weniger als ein zentraler Schlüssel zur Sicherung der Netzstabilität für die Energiewende. Denn die MSCDN-Anlage löst in Schwandorf ein Problem, das vielen Experten Kopfzerbrechen bereitet: Woher kommt die stabilisierende Blindleistung, wenn immer mehr konventionelle Kraftwerke abgeschaltet werden? Denn ohne Blindleistung, die bisher größtenteils von Kraftwerken produziert wurde, entstehen große Probleme. Wenn beispielsweise die Verbraucher abends alle gleichzeitig den Herd, die Waschmaschine und den Fernseher anschalten sowie das E‑Auto an die Wallbox hängen, belasten sie damit das Netz.
„Auch die MR bezieht ihren Strom über dieses Umspannwerk, darum sind wir doppelt stolz, unsere Erfahrung hier einzubringen.“
Wilfried Breuer, Geschäftsführer Reinhausen
Zusätzliche Blindleistung von den Kraftwerken gleicht dann die Netzspannung aus und verhindert somit Ausfälle. Dezentrale Erzeuger wie in Feldheim oder Niederbobritzsch tragen zwar einen Teil dazu bei, eine zukunftsfähige Netzinfrastruktur zu schaffen. Doch betrachtet man den steigenden globalen Energiebedarf und zeitlichen Aufwand dezentraler kommunaler Konzepte, braucht es kurz- und mittelfristig andere Technologien, um die Netze in dieser Umbruchphase stabil zu halten. Wer stellt also die benötigte Blindleistung zur Verfügung?
Blindleistung auf allen Ebenen
Das können Umspannwerke mithilfe einer MSCDN-Anlage selbstständig. MSCDN steht für Mechanically Switched Capacitor with Damping Network, also eine mechanisch geschaltete Kondensatorbank mit Dämpfungsnetzwerk. Bei hoher Auslastung stellt die Anlage kapazitive Blindleistung bereit, bei geringer Last bietet sie Schutz vor Überspannung durch die automatische Zu- und Abschaltung der Kompensationsanlage — was in vielen Situationen bereits ausreicht. „Neue Betriebsmittel als Ersatz der rotierenden Großgeneratoren im AC-Übertragungsnetz sind für die Energiewende unabdingbar“, erklärt Thomas Brückner vom MR-Geschäftsbereich Power Quality. Zusammen mit der OMEXOM plant und baut PQ MSCDN-Anlagen. „Unsere PQ-Spezialisten in Erfurt haben sie bereits mehrfach weltweit installiert und werden auch im Übertragungsnetz für eine zuverlässige Unterstützung sorgen“, meint Wilfried Breuer.

Denn in den vergangenen Jahren haben die Experten das MR-Produktportfolio erweitert und die Anlagen so weiterentwickelt, dass sie auch den Anforderungen im Übertragungsnetz auf Hoch- und Höchstspannungsebene standhalten. Breuer: „Dadurch können wir schon für drei der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber wirksame Lösungen zur Spannungsregelung umsetzen; wie hier in Schwandorf, aber auch beispielsweise für Amprion im Umspannwerk Sechtem bei Bornheim oder für 50Hertz in Bad Lauchstädt.“
Ein Umspannwerk für die Zukunft
Als größter der vier deutschen Übertragungsnetzbetreiber hat TenneT bereits drei MSCDN-Anlagen bei MR in Auftrag gegeben, um die Netzinfrastruktur und ‑stabilität zu modernisieren. Im Umspannwerk Schwandorf startet die erste der drei Anlagen ihren Betrieb. Sie verbindet insgesamt vier Höchstspannungsleitungen mit den Verteilnetzen und ist für die Versorgung der gesamten Region entscheidend. Durch die neue Anlage bleibt die Region vor Szenarien verschont, vor denen britische Regulatoren dieses Jahr medienwirksam warnten: dass das kollektive Wasserkochen zum Fünf-Uhr-Tee landesweit bald Stromausfälle provozieren könnte.
„Bei der Umsetzung der Energiewende sind wir auch auf innovative Entwicklungen angewiesen.“
Tim Meyerjürgens, Geschäftsführer TenneT
Deswegen plant TenneT in Schwandorf noch weitere Modernisierungsmaßnahmen. Tim Meyerjürgens, CEO TenneT, erklärt: „Jeder Meilenstein hilft uns, die ambitionierten klimapolitischen Ziele des Freistaats Bayern zu erreichen und mehr Erneuerbare ins Netz zu integrieren.“ Denn auch auf der anderen Seite entstehen Probleme, wenn in den sonnigen Mittagsstunden reichlich Solarenergie zur Verfügung steht, aber die Verbraucher sie nicht benötigen. TenneT investiert rund 68 Mio. Euro in das Projekt, allein 2,5 Mio. in die MSCDN-Anlage von MR. Darüber hinaus werden dort sukzessive alle Schaltgeräte und Stahlkonstruktionen demontiert und neu errichtet sowie die Fläche des Geländes um 3.500 Quadratmeter erweitert. Diese und weitere Erneuerungen helfen, auch regional produzierten Wind- und Solarstrom in die Verbrauchszentren zu transportieren.
REINHAUSEN INSIDE
Ausgeführt ist die MSCDN-Anlage als C‑Type-Filterkreis mit geteilten Kapazitäten und Dämpfungswiderstand. Ihre Drosselspulen sind so effizient gestaltet, dass sie nur geringe Verluste erzeugen. Die Anlage kann über einen speziellen Leistungsschalter phasenselektiv aktiviert werden. Für eine stufenlose Regelung werden komplexe dynamische Systeme wie der STATCOM (Stromrichter) sowie statische Blindleistungskompensatoren (SVC) eingesetzt.
Windparks als Kraftwerke
Erneuerbare Erzeuger werden konventionelle Kraftwerke zwar in ihrer Produktion von Energie ablösen — nicht aber in ihrer Funktion als Bereitsteller von Blindleistung. Zumindest heute noch nicht. Denn um volatile Erzeuger zu Kraftwerken umzurüsten, müssten sie gekoppelt und mit einer regelnden Kopfstation versehen sowie über ein Gleichspannungsnetz an den Netzkern angeschlossen werden. Dazu laufen derzeit Forschungsprojekte.
Lesen Sie in unserem Impuls, wie Windparks zu Kraftwerken werden könnten.
Bayern macht es vor
Damit unterstützt TenneT die Pläne des deutschen Bundeslandes und Heimatstandorts der Maschinenfabrik Reinhausen, bis 2040 das erste klimaneutrale Bundesland der Republik zu sein. Pläne, die Hand in Hand mit den Netzausbauprojekten von TenneT gehen, wie Tim Meyerjürgens verrät: „Wir bei TenneT sind uns unserer Verantwortung bewusst und werden deshalb bis 2030 mindestens 60 Milliarden Euro in die Energiewende investieren.“ Davon entfallen allein 0,5–1,5 Milliarden jährlich auf den Netzausbau in Bayern. Wilfried Breuer ergänzt: „Wir freuen uns, unsere Zusammenarbeit mit TenneT TSO zu stärken und fortzusetzen.“
Die nächsten MSCDN-Anlagen werden bald im niedersächsischen Landesbergen und im bayrischen UW Würgau aufgebaut. Dort steckt auch im neuen Phasenschieber-Transformator MR-Technik. Es bewegt sich also etwas. Und das auf allen Ebenen. „Noch bis vor wenigen Jahren schienen die großen Player recht zögerlich. Denn bei vielen Aspekten der Energiewende war zwar klar, was getan werden musste, aber die Technik für das Wie hat teilweise noch gefehlt oder war noch sehr kostenintensiv“, erläutert Brückner. Breuer ergänzt: „Je mutiger wir gemeinsam aktiv an der Energiewende arbeiten, umso mehr Innovationen und neue Technologien entstehen genau dadurch und ebnen den Weg — wie unsere MSCDN-Anlagen.“
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