Die Verteilnetze wurden als Einbahnstraße geplant. Jetzt droht reger Gegenverkehr. Autarke oder entkoppelte Netze sind ein Weg, die vorgelagerten Netze zu entlasten.
Inselnetze, autarke Ortsnetze, entkoppelte Niederspannungsnetze — das sind Schlagworte, die im Zuge der Energiewende immer häufiger fallen. Die Idee: Wenn immer mehr Erzeugungskapazitäten in die Ortsnetze wandern, dann sollten diese zunehmend unabhängig von den vorgelagerten Netzen werden. Der Vorteil: Zum einen wären diese „autarken“ Ortsnetze von den Unsicherheiten und Spannungsschwankungen der vorgelagerten Netze nicht mehr betroffen. Und zum anderen würden sie selbst die vorgelagerten Netze nicht mehr so stark durch fluktuierende Einspeisung belasten. Denn Verteilnetze sind bis heute noch für Strom ausgelegt, der nur in eine Richtung fließt.
Was einfach klingt, entpuppt sich in der Realität jedoch als technisch höchst anspruchsvolles Unterfangen. Ob komplett autark (Feldheim), Insellösungen (Mauritius) oder entkoppeltes Ortsnetz (Niederbobritzsch), es gibt Projekte, die zeigen, wie die Versorgung auf kommunaler Ebene gelingen kann. Der gemeinsame Nenner: moderne Umrichtersysteme und Batteriespeicher.
Energieautarkes Dorf Feldheim
Eines der Vorzeigeprojekte, wenn es um energieautarke Kommunen geht, ist der Ortsteil Feldheim der brandenburgischen Stadt Treuenbrietzen. Hier wurde von dem deutschen Projektentwickler Energiequelle in den vergangenen 20 Jahren eines der ambitioniertesten Gesamtkonzepte für eine dezentrale regenerative Energieversorgung von Unternehmen, Privathaushalten und Kommunen realisiert.
Die individuell angeschlossenen Haushalte werden hier autark über ein eigenes Verteilernetz mit Strom und Wärme versorgt. Die gesamte Energie wird vor Ort ausschließlich aus erneuerbaren Quellen erzeugt. Ein Windpark ist die Basis für die lokale Stromversorgung. Wärme liefert eine Biogasanlage. Und wenn es im Winter einmal besonders kalt wird, steht noch ein Holzhackschnitzel-Heizwerk bereit. Das Besondere an diesem Energiekonzept: Die vor Ort erzeugte Wärme und Elektrizität werden direkt an die Verbraucher geleitet und Überschüsse ins vorgelagerte Netz eingespeist. Schwankungen im Netz verhindern ein regionales Regelkraftwerk sowie ein Batteriespeicher, berichtet Doreen Raschemann vom Projektentwickler Energiequelle gegenüber dem Deutschlandfunk: „Die Speicher sorgen dafür, dass wir wirklich ein stabiles Netz haben und dass die Frequenz von 50 Hz gehalten wird.“
Inselnetze für Mauritius
In ganz anderen Teilen der Welt ist Tom Fricke mit seinem Team aktiv. Er ist Head of Energy Storage bei DHYBRID, einem Lösungsanbieter für erneuerbare Energien und Batteriespeichersysteme. Das Unternehmen mit Sitz im bayerischen Gauting projektiert weltweit Hybridsysteme, bei denen es um die intelligente Kombination von Batteriespeichern und erneuerbaren Energien geht. Dafür liefert DHYBRID die eigens entwickelte Steuerungslösung sowie schlüsselfertige Batteriespeicher und gestaltet somit die Zukunft der Energiesysteme vor allem in Südamerika, Afrika und Asien.
Erst vor Kurzem haben die Spezialisten ein Inselnetz auf Mauritius aufgebaut. Dort verbietet der lokale Energieversorger CEB, dass Photovoltaikanlagen direkt ans Netz angeschlossen werden. Fricke berichtet: „Unser Kunde Kalachand wollte aus Kosten- und Nachhaltigkeitsgründen weg von Dieselgeneratoren und dem instabilen Stromnetz und seinen Bedarf primär durch Solarstrom decken. Rein rechtlich war das allerdings nur möglich, wenn wir das lokale Netz physisch vom vorgelagerten Stromnetz entkoppeln und ein unabhängiges Inselnetz aufbauen.“ Denn auf Mauritius scheint die Sonne an 2.900 Stunden im Jahr. Und in der Mittagszeit produziert die Anlage bis zu 535 kW. Um die Energie in die Nachtstunden zu retten, haben die Spezialisten von DHYBRID einen Batteriespeicher mit rund 613 kWh aufgebaut und ihn mit zwei GRIDCON® PCS Umrichtern von Reinhausen kombiniert, die ein physikalisch vom öffentlichen Netz getrenntes Inselnetz aufbauen. Jetzt spart der Betreiber knapp 214.000 Liter Diesel im Jahr und hat keine Stromausfälle mehr, wodurch sich die gesamte Anlage in knapp vier Jahren amortisiert. Der Vorteil dieser Lösung: Als reiner Verbraucher kann er im Bedarfsfall immer noch auf den Strom im vorgelagerten Netz zugreifen.
“Szenarien von starken Spannungsschwankungen und Stromausfällen von Sekunden bis zu mehr als 72 Stunden sind nicht mehr undenkbar.”
Tom Fricke, DHYBRID
Bei den anderen weltweit verteilten Projekten sind die Anforderungen ähnlich. Fricke erklärt: „Viele unserer Kunden wollen ihre Diesel- oder Gasgeneratoren mit Erneuerbaren unterstützen und so Kosten und Verbrauch reduzieren. Bei anderen geht es um das Thema Ausfallsicherheit. Da ist entweder das vorgelagerte Netz instabil oder sie betreiben sicherheitskritische Anwendungen, die keine Ausfallzeiten tolerieren.“ Mit Blick auf Deutschland und die europäischen Netze macht Fricke interessante Beobachtungen: „Hier hatten wir es immer mit unglaublich stabilen Netzen zu tun.“ Aus diesem Grund war dieser Markt für DHYBRID wenig lukrativ. „Doch mittlerweile“, meint Fricke, „hat sich die Sachlage verändert und es findet ein Umdenken in Industrie und Politik statt. Szenarien von starken Spannungsschwankungen und Stromausfällen von Sekunden bis zu mehr als 72 Stunden sind nicht mehr undenkbar. Unser Lösungsportfolio kann helfen, diese Störungen nachhaltig zu überbrücken.“
Niederbobritzsch schafft’s!
Um das Thema Versorgungsqualität und Ausfallsicherheit des Ortsnetzes geht es auch bei FlexNet-EkO —Flexibilisierung des Netzbetriebs durch entkoppelte Ortsnetze. Im Rahmen dieses vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Forschungsprojekts wurde vom Verteilnetzbetreiber MITNETZ STROM in Niederbobritzsch ein Ortsnetz aufgebaut, dessen einzige Verbindung zum vorgelagerten Netz über eine leistungselektronische Netzkupplung von Reinhausen besteht (siehe ONLOAD 10).
„Die Anlage baut ein völlig stabiles Netz auf. Unterbrechungen gleicht die Batterie aus.
Jens Schwedler, MITNETZ STROM
Projektleiter bei MITNETZ STROM, dem größten regionalen Verteilnetzbetreiber in Ostdeutschland, ist Jens Schwedler. Die Frage, an der er seit bald drei Jahren gemeinsam mit der Hochschule Mittweida, der Technischen Universität Dresden und Reinhausen als Technologiepartner arbeitet: Wie lässt sich mit einer leistungselektronischen Netzkupplung ein modulares Verteilnetz aufbauen? Geforscht haben die Beteiligten dazu an einer systemtechnischen Grundlage für einen Einsatz von leistungselektronischen Netzkupplungen (eNKs). Basis ist die dezentrale und kundennahe Bereitstellung der geforderten Spannungsqualität. Darüber hinaus wird die einfache und kostengünstige Ansteuerung von im Verteilnetz vorhandenen steuerbaren Verbrauchern, Erzeugern und Speichern angestrebt.
Höchste Spannungsqualität
Seit September 2021 ist im Rahmen der technischen Machbarkeitsstudie ein grauer Container das Herz des Verteilnetzes in der mittelsächsischen Gemeinde. In ihm befinden sich die Speichereinheiten und eine leistungselektronische Netzkupplung mit netzbildendem Umrichter. Schwedler berichtet: „Seit vier Monaten läuft die Anlage reibungslos. Positiv fällt auf, dass wir eine hervorragende Spannungsqualität messen. Die könnten wir so aus dem öffentlichen Netz nie entnehmen. Unsymmetrien aus dem Mittelspannungsnetz filtert die Anlage einfach heraus und baut ein völlig stabiles Niederspannungsnetz auf. Unterbrechungen werden nahtlos von der Batterie ausgeglichen.“
Auch die von Reinhausen entwickelte Steuerung überzeugt. Sie kommuniziert über das Stromnetz mit Signalen im Bereich von 100 Millihertz. MITNETZ STROM konnte mehrere Kunden für einen Feldtest gewinnen, die träge Lasten wie Wallboxen für E‑Autos oder Wärmepumpen mit einer Steuerbox ausgestattet haben. Fällt die Stromproduktion unter einen kritischen Wert oder läuft wegen einer Unterbrechung gerade auf Batteriebetrieb, dann setzt der Ladevorgang oder die Wärmepumpe für diesen Zeitraum einfach aus. Der Kunde bekommt davon gar nichts mit. Schwedler betont: „Hier geht es um Steuertechnik zur Stabilisierung der Netze. Für die Kommunikation benötige ich einen gesicherten Weg. Die Ergebnisse zeigen, dass das die Frequenz sein kann.“
Die Reinhausen-Technik hat also in Niederbobritzsch bewiesen: Entkoppeln, Netz aufbauen, Speichern und Steuern sind damit möglich. Aus Sicht von Schwedler hat die Anlage damit das Potenzial, sich als Betriebsmittel der Zukunft zu etablieren: „Die nächste Frage ist, ob sich das System auch wirtschaftlich gegenüber Konkurrenzsystemen durchsetzen kann.“ Aber auch da ist der Energiefachmann positiv gestimmt.
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S.Rupp@reinhausen.com