Photovoltaik und Solarthermie, Windenergie, Erdwärme oder Biomasse: Im ländlichen Raum gibt es genügend Platz für ein ganzes Potpourri erneuerbarer Energien. Deshalb wählen engagierte Kommunen oftmals den Weg über Bürgerbeteiligungen und sind damit agiler als Stadtwerke und Unternehmen. Das gängige Reglement macht es solchen Energiegemeinschaften jedoch schwer. Wir haben dazu mit Professor Albert Moser von der RWTH Aachen gesprochen.
Die Energiewende stellt Politik, Netzbetreiber und Versorger vor gewaltige Aufgaben.
Das zentralistische System kommt an seine Grenzen und die Bedeutung der Verteilnetze für Einspeiser wächst. Was sind aus regulatorischer Sicht die größten Hürden in Deutschland?
Der Begriff Regulierung bezeichnet im engeren Sinne die Regulierung des natürlichen Netzmonopols. Damit wollen wir verhindern, dass die Netzentgelte zu hoch und Monopolrenditen erwirtschaftet werden. Das Regelwerk für die Energiewende ist aber viel weiter gefasst. Hierunter fallen auch öffentliche Planungs- und Genehmigungsverfahren. Sie dauern beispielsweise in Deutschland für Windkraftanlagen mit vier bis fünf Jahren immer noch viel zu lange und bremsen den Ausbau der Erneuerbaren aus. Mit Blick auf die lokale Versorgung ist die wichtige Frage der Partizipation noch unzureichend geklärt.
Wie beteiligt man Bürger und Kommunen an der Energiewende? Als Einzelhaushalt kann man zum Beispiel eine Photovoltaik-Anlage betreiben, „hinter dem Zähler“ zuerst den Eigenbedarf decken und nur das Saldo ins Verteilnetz abgeben. Doch wie sieht es bei Energiegemeinschaften aus, in denen sich mehrere Beteiligte für ein Projekt über Zählergrenzen hinweg zusammenschließen und Energy Sharing betreiben wollen? Solche Projekte lassen sich mit den derzeitigen Regelungen, beispielsweise bei Bilanzausgleich oder Netzentgelten, nur schwer abbilden. Ich würde also weniger von regulatorischen Hürden als von regulatorischen Lücken sprechen.
Was braucht es neben dem Schließen dieser regulatorischen Lücken außerdem für den Aufbau einer entsprechenden Infrastruktur?
Wir benötigen aktive Verteilnetze, denn es gibt eine natürliche Wechselwirkung zwischen Netzmonopol und dem Strommarkt.
Können Sie das näher erklären?
Verbraucher müssen ihr Verhalten an das volatile Angebot anpassen können. Das funktioniert über den Preis. Wenn die Sonne scheint und der Wind weht, ist der Strom billig. Die Wärmepumpe schaltet sich dann ein und das Auto wird geladen. Umgekehrt steigt bei wenig Sonne und Wind der Strompreis und das Verhalten ändert sich entsprechend. Zusätzlich brauchen Netzbetreiber Unterstützung, um Überlastungen der Netze zu vermeiden. Sie müssen beispielsweise diejenigen belohnen können, die ihren Verbrauch oder ihre Einspeisung bei drohenden Überlastungen anpassen.
Wenn sich alle Teilnehmer aktiv am Marktgeschehen und der Unterstützung der Netzbetreiber beteiligen, sprechen wir von aktiven Verteilnetzen. Und diese funktionieren nur mit Digitalisierung, also schnellem Internet und Smart Metern zur lückenlosen Datenerfassung und einer darauf basierenden intelligenten Steuerung.
„Das Unbundling verbietet Netzbetreibern, Speicher zu betreiben. Sie können aber schon Speicher Dritter gegen Vergütung nutzen.“
Prof. Albert Moser, RWTH Aachen
Können derartige Konzepte für aktive Verteilnetze mit den geltenden Netzentgeltstrukturen umgesetzt werden?
Grundsätzlich stehen verbrauchsabhängige Entgelte einer aktiven Teilnahme am Markt entgegen, da sie nicht die tatsächliche leistungsabhängige Netznutzung widerspiegeln. Das System, das wir heute haben, ist auch ein Ergebnis fehlender Smart Meter. Das betrifft vor allem Haushaltskunden, die nur einen Zähler und keine registrierte Leistungsmessung haben.
Die einzige Abrechnungsgrundlage sind heute die verbrauchten Kilowattstunden, egal ob sie mit geringer Leistung gleichmäßig über das Jahr oder mit hoher Leistung auf einmal abgerufen werden. Das Netz muss allerdings auf die Spitzenbelastungen ausgelegt sein. Insofern ist unser momentanes Abrechnungssystem unfair, weil es nicht verursachergerecht ist. Anders sieht es bei großen Verbrauchern aus. Die haben heute schon ein Mischsystem bestehend aus Leistungspreis und Arbeitspreis.
Abgesehen von Smart Metern brauchen Betreiber kommunaler Netze doch auch die Möglichkeit, selbst erneuerbare Energien zu speichern und bei Bedarf wieder einzuspeisen, um die Netzsicherheit zu gewährleisten?
Ja, das wäre der klassische Umgang, um die Netze zu stabilisieren. Doch das heutige regulatorische Umfeld verbietet es Netzbetreibern über das sogenannte Unbundling, Speicher zu besitzen und zu betreiben. Der Netzbetrieb ist von Stromerzeugung und ‑speicherung streng getrennt. Netzbetreiber können aber gegen Vergütung Speicher Dritter nutzen. Verschiedene Konzepte werden hier diskutiert oder befinden sich schon in der Umsetzung.
Wie kann der Gesetzgeber Kommunen bei der dezentralen Energieversorgung noch unterstützen?
Die Abgrenzung von reguliertem Netzmonopol und freiem Wettbewerb im Rahmen des Unbundlings sollte man weniger streng auslegen. So können Speicher oder Ladesäulen im Eigentum der Netzbetreiber durchaus sinnvoll sein, um die Netzsicherheit zu fördern bzw. eine auch flächendeckende Ausbringung von Ladesäulen zu erreichen.
Ebenso sollte der Regulierungsrahmen ein Energy Sharing unter Energiegesellschaften stärker ermöglichen. Dabei geht es vor allem darum, dass mehrere Personen über Grundstücksgrenzen hinweg Energie produzieren, speichern, verbrauchen und verkaufen. Österreich hat hierzu schon entsprechende Regelungen erlassen. Dies hat dort zu einer Gründungswelle von Energiegemeinschaften geführt.
ZUR PERSON
Professor Albert Moser ist Leiter des Instituts für Elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft an der RWTH Aachen und Mitglied im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Regulierungsfragen der Bundesnetzagentur.